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Im 19. Jahrhundert fegt eine technologische Revolution durch Deutschland.
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Sie verändert und beschleunigt das Leben der Menschen in nie gekanntem Ausmaß.
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Eisenbahnen verbinden Städte. Dampfkraft treibt Maschinen an. Schwerindustrie entsteht.
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Innerhalb weniger Jahrzehnte werden Land und Leute buchstäblich in die Zukunft katapultiert.
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Wir zeigen Euch fünf Beispiele, fünf revolutionäre Erfindungen und technische Neuerungen,
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die uns heute selbstverständlich vorkommen, aber damals ein absolutes Novum waren.
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Auch dort, wo man es auf den ersten Blick nicht vermuten würde.
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Hinter der Fassade von Schloss Neuschwanstein, die das Mittelalter beschwört, verbirgt sich in Wirklichkeit Industriearchitektur.
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Bauherr war der bayerische König Ludwig II.
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Heute kennt man ihn als verträumten „Märchenkönig“. Aber Ludwig II. war auch ein absoluter Technik-Freak.
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Und das war auch dringend nötig, denn ohne modernste Technik wäre der Traum vom Märchenschloss ziemlich schnell zerplatzt.
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Schon auf der Baustelle kommen neueste Erfindungen zum Einsatz: Dynamit, um die Bergspitze abzusprengen. Und ein dampfbetriebener Lastkran.
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Auch die königlichen Gemächer werden mit allen technischen Errungenschaften der Zeit ausgestattet, Wohnen im Stil der alten Ritter.
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Aber mit deutlich mehr Komfort als auf einer Burg des Mittelalters.
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Für Ludwigs Architekten eine echte Herausforderung! Das Geheimnis steckt hinter der Fassade.
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Herr Schlim, Neuschwanstein wurde gebaut in der Zeit der Industrialisierung, modernste Technologien kamen da zum Einsatz.
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Wie hat sich das ausgewirkt auf den Bau?
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Die moderne Technik brauchte man vor allen Dingen hier in Schloss Neuschwanstein, weil der König sehr oft Änderungen wünschte.
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So auch bei diesem Saal hier. Dieser riesengroße Thronsaal sollte ja gebaut werden in einer Höhe,
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wo drunter noch Hohlräume sind, sprich große andere Räume.
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Und um das zu bewerkstelligen, musste man auf die moderne Industrialisierungsmethode der Eisenkonstruktion zurückgreifen.
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Man hat dann unter diesen Saal große Doppel-T-Träger eingezogen.
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Diese Doppel-T-Träger, auf die wurden dann diese Metallsäulen draufgesetzt.
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Das ist nämlich kein voller Porphyr, sondern nur Metall, der dann außen verkleidet ist mit Gips und eben dann die Farbgebung.
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Das Ganze sieht sehr massiv aus, wie eine sehr massive romanische Kapelle, wenn man so will.
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Und in Wirklichkeit ist es eine sehr, sehr leichte Stahlkonstruktion, die einfach nur kaschiert ist.
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Eisen und Stahl sind die Schlüssel-Werkstoffe des Industriezeitalters.
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Um die riesige Nachfrage danach zu bedienen, entstehen gigantische Bauwerke wie die Völklinger Hütte.
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Sie ist heute das weltweit einzig erhaltene Eisenwerk aus der Blütezeit der Industrialisierung.
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Mitte des 19. Jahrhunderts werden Verfahren entwickelt, die den Kohlenstoffgehalt des Eisens bei der Verhüttung verringern. Dadurch entsteht Stahl.
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Stahl kann geschmiedet, gepresst, geformt und gewalzt werden.
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Ein fast magischer Werkstoff, mit dem nichts unmöglich scheint. Er wird zum Inbegriff des industriellen Fortschritts.
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Am schnellsten hat sich die Industrialisierung in Großbritannien durchgesetzt.
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Denn dort waren die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen besonders günstig.
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Ganz anders in Deutschland. Jedes Land des Deutschen Bundes hatte damals ein eigenes Handelsrecht, ja sogar eine eigene Währung.
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Und nicht einmal eine einheitliche Zeit gab es! Schlug es im Rathausturm in Aachen 12 Uhr, zeigte die Uhr in Frankfurt schon zehn nach zwölf an.
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In Dresden kurz nach halb eins. Mittag ist halt, wenn die Sonne am Höchsten steht – und das ist je nach Längengrad zu unterschiedlichen Zeiten.
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Von einem funktionierenden Binnenmarkt konnte da noch überhaupt keine Rede sein.
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Einer, der das ändern will, ist der Volkswirtschaftler Friedrich List aus Reutlingen.
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Als Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung hat er die Dutzenden innerdeutschen Zollschranken ausgemacht, und zieht gegen sie zu Felde.
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Danke, dass Sie mich in dieser wichtigen Angelegenheit empfangen. Sehen Sie hier, wenn man Handel treibt zwischen Hamburg und Österreich,
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hat man zehn Staaten zu durchqueren, Ein- und Durchfuhrzoll zehnmal zu bezahlen.
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Da. Königreich Hannover. Bezahlen. Kurfürstentum Hessen. Bezahlen. Überall wo Grenzen sind: bezahlen.
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Und wenn es nur das wäre! Jede Ware wird anders verzollt. Da blickt doch kein Mensch mehr durch!
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1834 ist es dann soweit – die ersten Zollschranken fallen.
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Aus 39 Kleinstaaten erwächst ein gemeinsamer Wirtschaftsraum: der Deutsche Zollverein.
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Eine Freihandelszone von 30 Millionen Menschen im Herzen Europas. Heute ist die Freihandelszone in der EU für uns selbstverständlich.
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Und das ist die Schlüsseltechnologie der neuen Zeit: die Eisenbahn!
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Im Vergleich mit unseren heutigen Hochgeschwindigkeitszügen sehen die Lokomotiven von damals noch aus wie Spielzeug.
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Aber die Eisenbahn macht buchstäblich der gesamten Wirtschaft Dampf.
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Die Eisenbahnbranche sorgt für ein regelrechtes Jobwunder in Deutschland. Hunderttausende sind allein im Streckenbau tätig.
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Tunnel und Brücken überwinden Berge und Täler. Sogar der unwegsame Schwarzwald wird erschlossen.
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Und der wirtschaftliche Erfolg rechtfertigt den Aufwand. Denn wo immer die Eisenbahn langführt, siedeln sich weitere Industriebetriebe an.
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Schon 1842 kann man von Dresden über Leipzig nach Berlin fahren.
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Und das Streckennetz wird immer weiter ausgebaut: 1870 sind es schon über 19.000 Kilometer.
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Fünfzehn Jahre später sogar mehr als 37.000 Kilometer.
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Das entspricht bereits annähernd der heutigen Streckenlänge in Deutschland.
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Aber ein Problem war immer noch nicht gelöst: das Durcheinander mit den Uhrzeiten.
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Kluge Fahrgäste hatten deshalb immer gleich mehrere, unterschiedlich gestellte Uhren dabei.
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Eine für die Ortszeit, wo sie losgefahren waren, eine andere für die Uhrzeit am Ankunftsort.
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Bis 1891 die einheitliche Eisenbahnzeit eingeführt wurde. Endlich Schluss mit dem Zeiten-Chaos!
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Die Eisenbahnzeit wurde zwei Jahre später deutschlandweit zum verbindlichen Standard.
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Die sogenannte Mitteleuropäische Zeitzone. Das brachte große Erleichterungen für den Verkehr und für die Wirtschaft insgesamt.
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Auch international sind deutsche Unternehmen jetzt erfolgreich. Wilhelm Siemens leitet eines dieser Startups mit Sitz in London.
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Der hochverehrte General Baker wird nun die indo-europäische Telegrafenlinie einweihen. William Baker an Colonel Robinson, Kalkutta.
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Countdown zu einer Jahrhundertsensation: die erste telegrafische Übermittlung einer Nachricht von London nach Kalkutta.
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Nach jahrelanger Vorbereitung geht die unter Siemens` Leitung gebaute Telegrafenlinie in Betrieb.
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Die indo-europäische Telegrafenlinie wurde ab 1868 in nur 2 Jahren errichtet.
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Fast 70.000 Masten mussten dafür aufgestellt und abertausend Kilometer Leitungsdraht an Porzellanisolatoren befestigt werden.
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Oft führt die Strecke dabei durch unwegsames Gelände.
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Am Ende sind es 11.000 Kilometer, mehr als ein Viertel des Erdumfangs, die so mittels neuster Technik verbunden sind.
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Nach gerade einmal einer Stunde – die Rückantwort aus Kalkutta.
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Meine Herren, Sie alle sind Zeugen eines historischen Augenblicks.
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Die neue Telegrafenlinie wird hoch profitabel für Siemens, und bis 1931 in Betrieb bleiben.
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Weltweite schnelle Kommunikation – in unserer heutigen digitalen Welt Normalität und Notwendigkeit.
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Auch in der Fortbewegung gab es damals einen tiefgreifenden Wandel! Das Automobil eroberte die Straßen.
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Aus damaliger Sicht ein Riesenfortschritt, denn das Auto galt als sauber.
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Heute kaum zu glauben: aber die Großstädte ertranken damals buchstäblich im Pferdemist.
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Noch um die Jahrhundertwende wird nahezu jeder Transport mit Pferdefuhrwerken durchgeführt.
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Allein in New York gibt es damals rund 100.000 Pferde, das macht hunderttausendmal 10 Kilo Pferdeäpfel am Tag.
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Eine echte Herausforderung für Umwelt und Gesundheit.
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Die Times in London sagte damals voraus, dass die Straßen in 50 Jahren mit einer 2 Meter hohen Schicht Pferdemist bedeckt sein würden.
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Das ging als „Große Pferdemist-Krise von 1894“ in die Geschichte ein. Auch in Deutschland war die Situation angespannt.
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Die Lösung brachte dann tatsächlich – das Automobil. Der Start ist heute legendär.
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1888 unternimmt Bertha Benz mit ihren Söhnen eine Überlandfahrt von Mannheim nach Pforzheim.
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104 Kilometer, auf der sie das weltweit erste alltagstaugliche Automobil präsentierte.
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Danach ist klar: Dem „Benz Patent Motor-Wagen Nummer 1“ gehört die Zukunft.
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Auch wenn sich die Menschen an das holprige Gefährt auf seinen drei Rädern erst einmal gewöhnen mussten.
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Welches dieser Autos war denn das erste, das in Serie hergestellt wurde?
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Ja, das ist im Grunde genommen das berühmte Benz Velo, immerhin 1200 mal hergestellt, damals im Kutschen-Zeitalter. Sie dürfen gerne mal einsteigen.
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Na klar, das mache ich. Oh, das wackelt. Das wackelt ein bisschen. Gut gefedert.
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Man hatte natürlich die Federung von den Kutschen übernommen. Die Wege waren ja damals noch sehr schlecht und man musste das schon gescheit abfedern.
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Aber man hatte ein Verkehrsmittel, mit dem man immerhin eine Geschwindigkeit von 25 bis 30 Kilometern in der Stunde fahren konnte.
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Es hatte bescheidene 2,75 PS, aber es war eigentlich der erste Volkswagen der Automobilgeschichte.
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Tolle Technik, allerdings mit erheblichen Folgen für die Umwelt. Dass es auch anders geht, zeigt bereits der Start ins Automobil-Zeitalter:
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der ist nämlich lange ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Verbrennungsmotor und Elektrofahrzeugen.
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Bereits um die Jahrhundertwende entwickelt Ferdinand Porsche den ersten serienmäßigen Hybrid-Antrieb.
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Der „Lohner-Porsche“ beeindruckt mit einem Elektromotor in der Vorderachse.
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Auch die automobile Schallmauer von 100 Stundenkilometern durchbricht 1899 zuerst – ein Elektrofahrzeug!
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Einziger Nachteil: die zu schwachen Batterien. Und deshalb macht dann doch der Verbrennungsmotor das Rennen.
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Die Fahrt beginnt in 5 Minuten! Auch bei den elektrischen Schienenfahrzeugen tut sich was.
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Auf der Berliner Gewerbeausstellung 1879 präsentiert die Firma Siemens die erste elektrische Lokomotive.
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Ein Meilenstein – ob als Tram, U-Bahn oder Hochgeschwindigkeitszug: elektrische Schienenfahrzeuge sind bis heute das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs.
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Stahlkonstruktion, Zollfreiheit, Einheitliche Uhrzeit, schnelle weltweite Kommunikation, eine neue Dimension der Mobilität,
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lauter moderne Errungenschaften, die das Leben einfacher und bequemer machen, und ohne die unser heutiger Lebensstil kaum denkbar wäre.
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Die historischen Erfahrungen zeigen: technischer Fortschritt hat immer seinen Preis, aber auch seine Chancen.
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Was glaubt ihr, ist technischer Fortschritt Fluch oder Segen? Schreibt es gerne unten in die Kommentare.
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Und den ganzen Film über Deutschland in der Zeit der Industrialisierung könnt ihr euch oben auf dem „I“ anschauen
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oder ihr schaut unten in die Info Box, da gibt es einen Link zur ZDF Mediathek.
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Und wenn Euch das Video gefallen hat, dann abonniert den Kanal gerne. Danke fürs Zuschauen und bis zum nächsten Mal.