Tagebücher aus der NS-Zeit | Hitlers Volk - Ein deutsches Tagebuch | Doku
Sintesi
TLDRDer Film "Hitler und die Deutschen" untersucht die verschiedenen Reaktionen und Erfahrungen von Menschen in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus. Durch die Erzählungen von acht Protagonisten, die Tagebuch führten, wird ein facettenreiches Bild der Gesellschaft zwischen 1933 und 1945 gezeichnet. Die Geschichten reichen von der Begeisterung für Hitler und die NSDAP bis hin zu Verzweiflung und Angst unter den Juden und politischen Gegnern. Der Film beleuchtet die gesellschaftlichen Veränderungen, die durch Hitlers Aufstieg zur Macht und den darauffolgenden Krieg verursacht wurden, und zeigt, wie die Menschen auf die politischen Ereignisse reagierten.
Punti di forza
- 📅 1933: Hitler wird Reichskanzler!
- 📖 Acht Tagebücher erzählen von Schicksalen.
- 😨 Menschen fürchteten um ihr Leben.
- 🎉 Begeisterung für die NSDAP bei vielen.
- 📉 Politische Gegner wurden verfolgt.
- 🕊️ Juden litten unter Diskriminierung.
- 👧 Hitler-Jugend als Indoktrination.
- ⚖️ Gesellschaft war zerrissen.
- 📜 Politische Veränderungen prägten das Leben.
- 🕰️ 1945: Ende des Zweiten Weltkriegs.
Linea temporale
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Die Dokumentation beleuchtet die verschiedenen Perspektiven der Deutschen, die 1933 Adolf Hitler wählten oder unter seinem Regime litten. Acht Tagebücher erzählen von den Schicksalen der Menschen im Nationalsozialismus, die zwischen Loyalität, Karriere, Verzweiflung und Tod gefangen waren.
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Franz Schall, ein begeisterter Nationalsozialist, feiert Hitlers Ernennung zum Reichskanzler und sieht große Möglichkeiten für Deutschland. Er ist optimistisch und glaubt an eine positive Wende in der Politik.
- 00:10:00 - 00:15:00
Matthias Joseph Mehs, ein Demokrat und Stadtverordneter, beobachtet mit Besorgnis die zunehmende Gewalt und den Terror der SA. Er fühlt sich machtlos und sieht die politischen Veränderungen als bedrohlich an.
- 00:15:00 - 00:20:00
Luise Solmitz, eine Hausfrau, ist von Hitlers Fackelzug begeistert und sieht darin eine positive nationale Bewegung. Ihre Tochter Gisela ist ebenfalls von der Begeisterung angesteckt und wünscht sich, dass ihre Familie Hitler wählt.
- 00:20:00 - 00:25:00
Wilhelm Cohn, ein jüdischer Lehrer, ist entsetzt über die antisemitische Propaganda und die Schuldzuweisungen an die Juden. Er kämpft mit seinen Gefühlen der Liebe zu Deutschland und der Realität des aufkommenden Antisemitismus.
- 00:25:00 - 00:30:00
Die Reichstagswahl bringt einen Sieg für Hitler, was die Machtverhältnisse in Deutschland radikal verändert. Die Menschen sind euphorisch, während die Juden in Angst leben müssen.
- 00:30:00 - 00:35:00
Franz Schall wird in der Hitler-Jugend aktiv und sieht seine Zukunft in der nationalsozialistischen Bewegung. Er ist entschlossen, seinen Beitrag zu leisten und die Jugend zu mobilisieren.
- 00:35:00 - 00:40:00
Matthias Mehs beobachtet die zunehmende Diskriminierung der Juden und ist schockiert über die Barbarei, die sich in seiner Stadt abspielt. Er beginnt, seine Haltung zu überdenken.
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Luise Solmitz ist enttäuscht von Hitlers Boykott gegen jüdische Geschäfte und erkennt die Gefahren, die der Nationalsozialismus für ihre Familie birgt, insbesondere für ihren Ehemann mit jüdischen Wurzeln.
- 00:45:00 - 00:53:52
Die Nürnberger Gesetze werden verkündet, was für die jüdische Familie Solmitz ein bürgerliches Todesurteil darstellt. Gisela wird aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, während andere, wie Inge Thiele, die Gesetze befürworten und sich dem Regime anpassen.
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Was ist das Hauptthema des Films?
Der Film thematisiert die verschiedenen Perspektiven von Menschen in Deutschland während des Nationalsozialismus.
Wie viele Tagebücher werden im Film vorgestellt?
Acht Tagebücher werden im Film vorgestellt.
Was geschah 1933 in Deutschland?
Adolf Hitler wurde zum Reichskanzler ernannt.
Wie reagierten die Menschen auf Hitlers Ernennung?
Die Reaktionen reichten von Begeisterung bis zu Angst und Verzweiflung.
Was passierte 1945?
Der Zweite Weltkrieg endete.
Wie wird das Leben der Juden im Film dargestellt?
Das Leben der Juden wird als leidvoll und von Diskriminierung geprägt dargestellt.
Welche Rolle spielt die Hitler-Jugend im Film?
Die Hitler-Jugend wird als ein Ort der Begeisterung und Indoktrination für junge Menschen dargestellt.
Wie wird die politische Stimmung in Deutschland beschrieben?
Die politische Stimmung wird als angespannt und von Angst geprägt beschrieben.
Was geschah mit den politischen Gegnern der Nazis?
Politische Gegner wurden verfolgt und in Konzentrationslager gebracht.
Wie wird die Familie Solmitz im Film dargestellt?
Die Familie Solmitz wird als gutbürgerlich und von den politischen Veränderungen betroffen dargestellt.
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- 00:00:00.
- 00:00:02Hitler und die Deutschen.
- 00:00:04Wer waren die Menschen, die 1933 Hitler wählten,
- 00:00:09ihm vertrauten, ihn verachteten oder um ihr Leben fürchteten?
- 00:00:15Was dachten sie, als 1939 der Krieg ausbrach?
- 00:00:20Und woran glaubten sie noch 1945, als er endete?
- 00:00:27Acht Tagebücher erzählen vom Leben im Nationalsozialismus.
- 00:00:32Acht Schicksale aus Deutschland -
- 00:00:35zwischen Gefolgschaft, Karriere,
- 00:00:38Erwachsenwerden, Zerrissenheit, Verzweiflung und Tod.
- 00:00:46* düstere Musik *
- 00:01:02* Klingeln *
- 00:01:10Franz Schall ist begeisterter Nationalsozialist.
- 00:01:14Seit zwei Jahren ist er in der Hitler-Jugend,
- 00:01:17seit einem halben Jahr in der NSDAP.
- 00:01:22Vor ein paar Tagen wurde er 20.
- 00:01:28Sein großes Vorbild ist Adolf Hitler,
- 00:01:30der wird zum Reichskanzler ernannt.
- 00:01:35Franz Albrecht Schall sieht seine Zeit gekommen.
- 00:01:41Er notiert in sein Tagebuch:
- 00:01:4730. Januar 1933.
- 00:01:51Adolf Hitler Reichskanzler!
- 00:01:56Bald weht frischer Wind in Deutschland
- 00:01:58und es wird manches anders werden.
- 00:02:02Es kam für uns etwas plötzlich. Ich selbst bin noch halb ungläubig.
- 00:02:06Welche Möglichkeiten tun sich jetzt auf!
- 00:02:10Hitler an des Reiches Spitze,
- 00:02:13für das er 14 Jahre lang fanatisch und zielsicher gekämpft hat.
- 00:02:17* Menge jubelt. *
- 00:02:19Jetzt soll Deutschland einen Mann kennenlernen,
- 00:02:22der aus Not und Schmach ein Volk schmieden wird,
- 00:02:26das der Welt endlich Trotz bieten kann.
- 00:02:38Wittlich, Stadt in der Eifel im Westen Deutschlands.
- 00:02:42Katholisch, konservativ.
- 00:02:52Hier lebt Matthias Joseph Mehs, 39,
- 00:02:56mit Helene Mehs und den beiden Töchtern Maria und Margrethe.
- 00:03:04Er ist Demokrat, gläubig,
- 00:03:06Stadtverordneter der katholischen Zentrumspartei.
- 00:03:11Vor elf Jahren hat Matthias Mehs den väterlichen Gasthof übernommen.
- 00:03:15Jeder kennt ihn, den Gastwirt.
- 00:03:20Fast täglich schreibt er Tagebuch.
- 00:03:22* 30er Jahre Musik *
- 00:03:27In der Wirtsstube sitzen wir heute Abend ruhig beisammen
- 00:03:31und unterhalten uns über die politischen Ereignisse.
- 00:03:40Da kommt auf einmal mit festem Schritt ein SA-Mann ins Haus,
- 00:03:44macht richtig die Tür auf,
- 00:03:47sieht uns an, als ob er unsere Personalien feststellen wollte
- 00:03:52und geht wieder weg.
- 00:03:56Also Spitzel, also Terror.
- 00:04:00Eine Ungeheuerlichkeit.
- 00:04:03Das also ist die Ära Hitler.
- 00:04:06Ein Mittel dagegen? Anzeigen?
- 00:04:09Ein flammender Protest in der Zeitung?
- 00:04:13Mir scheint das alles zwecklos.
- 00:04:15Die Uniformen, der Gleichschritt, die Fahnen, das Spitzeln,
- 00:04:20all das wird von selbst verschwinden.
- 00:04:30Das Wohnhaus der Familie Solmitz, gutbürgerliche Hamburger Gegend.
- 00:04:38Luise Solmitz, 44, früher Lehrerin, jetzt Hausfrau.
- 00:04:43Friedrich Solmitz, Unternehmer, Offizier a. D.
- 00:04:49Schon lange sind die beiden ein Paar.
- 00:04:51Gewählt wird deutsch-national.
- 00:04:54Vom neuen Reichskanzler ist Luise Solmitz angetan,
- 00:04:57wie auch die zwölfjährige Tochter Gisela.
- 00:05:00Seit vielen Jahren führt Luise Solmitz Tagebuch.
- 00:05:04* Gesang *
- 00:05:076. Februar 1933.
- 00:05:11Fackelzug der Nationalsozialisten.
- 00:05:14Ein wunderbar erhebendes Erlebnis für uns alle.
- 00:05:19Gisela mit.
- 00:05:21Die ersten Fackeln kamen,
- 00:05:23dann folgten, wie Wellen im Meer, 20.000 Braunhemden.
- 00:05:28Begeistert leuchteten die Gesichter im Fackelschein.
- 00:05:32Ich sagte Gisela, sie solle bis zum Schluss bleiben,
- 00:05:35denn Kinder hätten bisher
- 00:05:37überaus klägliche politische Eindrücke gehabt,
- 00:05:40dass sie einen starken nationalen Eindruck erinnern sollten.
- 00:05:45Unserm Führer, unserm Reichskanzler Adolf Hitler ein dreifaches Heil!
- 00:05:52Wir waren wie berauscht vor Begeisterung,
- 00:05:55geblendet vom Licht der Fackeln vor unseren Gesichtern,
- 00:05:58immer in ihrem Dunst, wie in einer süßen Wolke von Weihrauch.
- 00:06:05"Juda, verrecke!" wurde auch mal gerufen und vom Judenblut gesungen,
- 00:06:10das vom Messer spritzen sollte.
- 00:06:18Auf Wunsch Hitlers wurde schon einen Tag nach seiner Ernennung
- 00:06:21der Reichstag aufgelöst, Neuwahlen angesetzt.
- 00:06:29Wahlkampfauftakt. Hitler-Rede, 10. Februar.
- 00:06:35Seine erklärten Gegner: Juden, Demokraten, Marxisten.
- 00:06:42Damals gelobte ich mir zum ersten Mal
- 00:06:46als unbekannter Einzelner diesen Krieg zu beginnen
- 00:06:50und nicht zu ruhen, bis endlich diese Erscheinung
- 00:06:54aus dem deutschen Leben beseitigt sein würde!
- 00:06:57Und dann ...
- 00:06:59Ich hörte Hitler am Radio. Er sprach in Berlin im Sportpalast.
- 00:07:04Ich verstehe jetzt, dass ihm die Massen nachlaufen.
- 00:07:08Er hat ein gewaltiges Organ,
- 00:07:11brüllt wie ein Stier.
- 00:07:12Ihm fehlt alles Maß.
- 00:07:16Wie kann ein Volk so einen Triebmenschen
- 00:07:18zum Reichskanzler machen?
- 00:07:20... das neue deutsche Reich der Größe und der ...
- 00:07:23Kraft hat er, aber keinen Geist.
- 00:07:26... und der Gerechtigkeit. Amen!"
- 00:07:29(Menge) Heil!
- 00:07:31Das war der Weg, den wir zu gehen haben.
- 00:07:34Alle für einen, einer für alle.
- 00:07:39Hitler wird Menschen genug brauchen,
- 00:07:42die ihm auf allen Gebieten seinen Aufbau ausgestalten.
- 00:07:46Gigantische Arbeit gilt es noch zu leisten.
- 00:07:49Wenn ich nur auch mithelfen könnte!
- 00:07:55Gott gebe mir Kraft und Können, damit ich an der Stelle,
- 00:07:58wohin mich sein Befehl stellt, froh und nützlich schaffen kann.
- 00:08:06Franz Schall will mitmachen, mitgestalten.
- 00:08:11Aufgewachsen in Altenburg, Thüringen.
- 00:08:14Bürgerlich-protestantisches Elternhaus.
- 00:08:17Der Vater: Lehrer und Nazi-Gegner.
- 00:08:23Der Sohn lehnt sich gegen ihn auf, will weg.
- 00:08:27Im Frühjahr 1932 zieht er nach Dresden,
- 00:08:31wird Tischlerlehrling.
- 00:08:37Seine Hobbys: Fahrradfahren, Zeichnen, Geige spielen.
- 00:08:44Seine Mission: die Hitler-Jugend auf Vordermann bringen.
- 00:08:5511. Februar 1933.
- 00:08:59HJ-Kundgebung im Vereinshaus.
- 00:09:02Überfüllung, Unruhe, Herumlungerei, Disziplinlosigkeit und Krach.
- 00:09:16Was wird aus der Hitler-Jugend Dresden?
- 00:09:18Die einzige Frage.
- 00:09:23Ich suchte Klarheit in der freien Natur.
- 00:09:31In Stolpen ließ ich mein Rad im Parteiheim,
- 00:09:33trank am Markt in einer Kaffeestube einen Topf Kaffee
- 00:09:36und aß ein Cremeschnittchen dazu.
- 00:09:41Es fehlt an der straffen Organisation.
- 00:09:45Revolutionär ist nur der, der einer faulen, geistlosen Welt
- 00:09:49eine junge, umstürzende Idee entgegenzuschleudern wagt.
- 00:09:54Und mag alles gegen ihn aufstehen.
- 00:09:58Das ist Revolution.
- 00:10:02Umsturz,
- 00:10:05Zeitenwende.
- 00:10:08Ich werde mit eisernem Besen auskehren und alle diejenigen,
- 00:10:12die ausschließlich wegen ihrer roten oder schwarzen Gesinnung
- 00:10:16und zur Unterdrückung aller nationalen Bestrebungen
- 00:10:19in Amt und Würden sitzen, hinausfegen.
- 00:10:24Breslau, schlesische Metropole.
- 00:10:2840 % NSDAP-Wähler.
- 00:10:33Die Stadt mit der drittgrößten jüdischen Gemeinde
- 00:10:36im deutschen Reich.
- 00:10:4120. Februar 1933.
- 00:10:45Heute ist Trudis Geburtstag.
- 00:10:48Sie wird 32 Jahre alt.
- 00:10:51Wir haben uns gestern über manches ausgesprochen, was mich bedrückt,
- 00:10:56und so ist mir leichter geworden.
- 00:10:59Ich habe Trudi gesagt, wie schwer es mir oft wird, alles zu ertragen,
- 00:11:04und wie hilflos ich oft dem Daseinskampf gegenüberstehe.
- 00:11:13Wilhelm Cohn, 44.
- 00:11:16Wilhelm nennt ihn keiner, alle nennen ihn Willy.
- 00:11:20Ein deutscher Jude.
- 00:11:23Im Weltkrieg gekämpft,
- 00:11:26das Eiserne Kreuz im Schrank.
- 00:11:29Trudi, eigentlich Gertrud, seine zweite Frau.
- 00:11:3212 Jahre jünger als er.
- 00:11:36Die Töchter: Ruth, 8, und Susanne Auguste, Susannchen,
- 00:11:41die in zehn Tagen ein Jahr alt wird.
- 00:11:47Zwei Söhne aus erster Ehe.
- 00:11:51Er ist Lehrer: Geschichte, Deutsch, Erdkunde.
- 00:11:57SPD-Mitglied.
- 00:12:00Schon seit seiner Jugend schreibt Willy Cohn Tagebuch.
- 00:12:10Widerwärtige Naziplakate von größter geschichtlicher Verlogenheit
- 00:12:14kleben an den Anschlagsäulen.
- 00:12:17Selbst für die Inflation macht man die SPD verantwortlich.
- 00:12:21Man stellt alles auf den Kopf.
- 00:12:32In einer Zeitung stand: "An allem Unglück sind die Juden schuld."
- 00:12:37Ekelhaft.
- 00:12:39Es ist trotz all dem schwer,
- 00:12:41sich die Liebe zu Deutschland aus dem Herzen zu reißen.
- 00:12:46Man müsste es eigentlich.
- 00:12:53* bedrohliche Geräuschkulisse *
- 00:12:5728. Februar.
- 00:13:00Heute früh hörte ich als Erstes, dass der Reichstag brennt.
- 00:13:04Widerlichster Terror gegen die gesamte Linke setzt ein.
- 00:13:12Grundrechte werden ausgesetzt.
- 00:13:15Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit.
- 00:13:25Durch die neuen Notverordnungen ist uns ja der Mund versiegelt.
- 00:13:30Alles ist Landesverrat, auf alles steht die Todesstrafe.
- 00:13:34Man kommt sich in diesen Tagen wie im Krieg vor.
- 00:13:42* 30er Jahre Musik *
- 00:13:44Am Tag vor der Reichstagswahl feiert Gisela,
- 00:13:47die Tochter von Luise Solmitz, ihren 13. Geburtstag.
- 00:13:56Gisela droht: "Dass du mir Hitler wählst!
- 00:14:00Ich wünsche es mir zum Geburtstag.
- 00:14:02Wehe, wenn du es nicht tust.
- 00:14:04Ich werde sehr böse.
- 00:14:07Ach, wenn ich doch nur selbst Hitler wählen dürfte!"
- 00:14:175. März 1933.
- 00:14:21Endlich: ein Sieg, den wir alle, die vaterländisch Gesinnten,
- 00:14:26für Hitler erstritten haben.
- 00:14:28Es lag Jubel, Erlösung, Frühling, Rausch in der Luft.
- 00:14:34Der brennende Reichstag hat der Wahl unendlich genützt.
- 00:14:41Hitler gewinnt die Wahl.
- 00:14:44Die Machtverhältnisse haben sich radikal verschoben.
- 00:14:49* düstere Klänge *
- 00:14:577. März 1933.
- 00:15:01Nachmittags fuhr ich im Eiltempo zum Rathausplatz.
- 00:15:06Alles wartete auf das Hissen unseres heiligen Banners.
- 00:15:11Und plötzlich flatterte die riesige Fahne,
- 00:15:13die die SS herausgesteckt hatte.
- 00:15:17Großer Jubel.
- 00:15:21So wird dieses Symbol von den Rathäusern der Städte,
- 00:15:25von den Ministerien der Länder flattern, mit dem einen Ziel,
- 00:15:30den dieses Banner kündet:
- 00:15:34Deutschlands innere und äußere Auferstehung.
- 00:15:41Franz Schalls Euphorie gefällt nicht allen.
- 00:15:44Für seinen Tischlermeister ist der Jung-Nazi ein Unruhestifter,
- 00:15:49der die Lehre schleifen lässt.
- 00:15:53Der Meister hielt wieder einmal eine Predigt:
- 00:15:57Wie ein Mönch soll ich mich nur dem Beruf hingeben.
- 00:16:01Ja, Meister, als du jung warst, da konnte man das machen.
- 00:16:07Ihr hattet die Sorgen nicht wie wir, euch ging es ums Geld,
- 00:16:12uns geht's um unser Deutschland.
- 00:16:20Breslau, 9. März.
- 00:16:22Das Bild der Stadt ist ganz verändert dadurch,
- 00:16:25dass von allen öffentlichen Gebäuden Hakenkreuzflaggen wehen.
- 00:16:31Wie unsereinem zumute ist, wenn diese Flagge gepriesen wird,
- 00:16:35und sei es nur unter Druck.
- 00:16:38Diese Flagge, unter der wir Juden
- 00:16:40aufs Schwerste beschimpft wurden und werden.
- 00:16:46Die Menschen sind wie in einem Taumel.
- 00:16:52In Wittlich in der Eifel leben über 7.000 Menschen,
- 00:16:56darunter 280 Juden.
- 00:17:00Es gibt jüdische Rechtsanwälte und Ärzte,
- 00:17:0330 jüdische Geschäfte und Unternehmen.
- 00:17:07Matthias Mehs in seinem Tagebuch:
- 00:17:121. April 1933.
- 00:17:16Ich verzeichne heute das Menschenunwürdigste,
- 00:17:19was ich je erlebt habe.
- 00:17:24Um 10 Uhr marschierten SA-Männer
- 00:17:26mit zehn oder zwölf großen Schildern in die Stadt.
- 00:17:29Auf den Schildern standen Schriften wie etwa: "Hier wohnt ein Jude,
- 00:17:34meide seine Bude!",
- 00:17:36oder: "Die Juden sind an unserm Unglück schuld".
- 00:17:47Gewiss, der Jude, speziell der zersetzende jüdische Geist,
- 00:17:51hat sich zu breit gemacht, man soll ihn in seine Schranken verweisen.
- 00:17:56Aber was wir heute sehen und erleben,
- 00:17:59hat mit Anstand, mit deutschem Wesen,
- 00:18:01mit Menschlichkeit nichts mehr zu tun.
- 00:18:05Es ist einfach Barbarei.
- 00:18:07* 30er Jahre Musik *
- 00:18:12Auch Luise Solmitz geht der Boykott zu weit.
- 00:18:15Sie ist das erste Mal von Hitler irgendwie enttäuscht.
- 00:18:23Ein bitterböser Aprilscherz heute,
- 00:18:26der uns noch jahrelang zu tun geben wird.
- 00:18:31Um 10 Uhr wurden die "Posten" bezogen.
- 00:18:34Hässliche rote Plakate kennzeichneten die jüdischen Läden.
- 00:18:38"Kauft nicht beim Juden."
- 00:18:41Man schämte sich vor jedem bekleisterten Geschäft.
- 00:18:48Ich sehe schwarz und schwärzer.
- 00:18:51Hitler, ach du Großer, was tust du?
- 00:18:55* Streichmusik *
- 00:19:02Viele Juden sollen gefasst sein,
- 00:19:04die samt Koffer und Moneten per Bahn aus Deutschland fliehen wollten.
- 00:19:09Sie sind im Volkshaus kaserniert
- 00:19:11und dürfen u. a. Treppen scheuern.
- 00:19:16Ich fuhr mit Geige zu meinem Schulkameraden,
- 00:19:18wo wir zu zweit das Largo von Händel spielten.
- 00:19:23* Streichmusik *
- 00:19:2813. April 1933.
- 00:19:32Heute las man in der Zeitung
- 00:19:34von der "Entfernung" jüdischer und marxistischer Lehrer.
- 00:19:39Wir werden entfernt wie ein eingewachsenes Haar.
- 00:19:45Gewiss, man tötet uns nicht.
- 00:19:48Aber man quält uns seelisch,
- 00:19:51gräbt uns jede Existenzmöglichkeit systematisch ab.
- 00:19:59Mit Wölfl am Vormittag spazieren gegangen.
- 00:20:03Er wird nun wohl auch weggehen.
- 00:20:06Ein sehr schwerer Entschluss, aber es bleibt kaum etwas anderes übrig.
- 00:20:15Willy Cohns 18-jähriger Sohn Wolfgang, Wölfl,
- 00:20:18verlässt Deutschland Richtung Paris.
- 00:20:23Er hat eine Morddrohung erhalten.
- 00:20:25Ein ehemaliger Mitschüler,
- 00:20:27der angeblich wegen Wölfl von der Schule geschmissen wurde,
- 00:20:31ist jetzt SA-Mann.
- 00:20:3718. April 1933.
- 00:20:41Wölfl ist nun fort.
- 00:20:44Man möchte nicht aufschreiben und ausdrücken,
- 00:20:47wie einem Vater in diesem Augenblick zumute ist.
- 00:20:53Trudi drängt ja immer sehr mit dem Auswandern.
- 00:20:56Ich sehe für uns und für das, was ich kann,
- 00:20:58keine großen Möglichkeiten.
- 00:21:01Ich möchte nicht noch einmal ganz von vorne anfangen.
- 00:21:05Hier kann und bin ich etwas.
- 00:21:08Ob ich es da noch einmal zu etwas bringen sollte,
- 00:21:11bleibt doch dahingestellt.
- 00:21:19Gedanken in unsicheren Zeiten.
- 00:21:22* 30er Jahre Musik *
- 00:21:2618. Mai 1933.
- 00:21:29Für heute Morgen 10 Uhr war eine Försterversammlung angesagt.
- 00:21:35Um 8 Uhr sprach ich noch mit dem Besteller,
- 00:21:37der die Besucherzahl mir auf mind. 30 angab und um Bereithaltung
- 00:21:42von Fleischbrühe, warmen Würstchen usw. bat.
- 00:21:49Es wurde 10 Uhr und niemand kam.
- 00:21:54Dann erschien der Hilfsförster, um mitzuteilen,
- 00:21:57dass die Förster beschlossen hätten, in das Lokal der Nazis zu gehen.
- 00:22:03So geht es.
- 00:22:07Nicht nur die Juden,
- 00:22:09auch die Christen, die keine Nazis sind,
- 00:22:11die ihre Gesinnung nicht wechseln können wie ein Hemd,
- 00:22:14werden boykottiert: aus Feigheit,
- 00:22:19aus Angst.
- 00:22:24Ihre Begeisterung für Hitler
- 00:22:26hat Luise Solmitz bisher blind gemacht für die Gefahren,
- 00:22:29die der Nationalsozialismus für ihre Familie bedeutet.
- 00:22:34Friedrich Solmitz, Fredy, ist getaufter Christ,
- 00:22:37hat aber jüdische Wurzeln.
- 00:22:41Nicht einmal die Tochter weiß etwas davon.
- 00:22:46Gisela kommt mir immer wieder, sie möchte in die Hitlerjugend.
- 00:22:52Nein, den Grund kann ich ihr nicht angeben.
- 00:22:59Gisela ist Judenhasserin.
- 00:23:02Fredy schweigt, ich schweige.
- 00:23:07* Läuten *
- 00:23:11In Giselas Schule wird ein Ariernachweis verlangt.
- 00:23:16Eine Erklärung, dass sie nicht-jüdischer Abstammung ist.
- 00:23:23Aus Giselas Sicht gar kein Problem.
- 00:23:2820. Mai 1933.
- 00:23:32Es wurde ein Schicksalstag für uns.
- 00:23:37Gisela kam aus der Schule,
- 00:23:39"Bin ich Arier?" und legte Fredy einen Schein vor.
- 00:23:45"Meine Tochter Gisela Solmitz ist arischer/nicht-arischer Abstammung.
- 00:23:50Nicht Zutreffendes ist zu durchstreichen."
- 00:23:56Ein Blick, "Du durchstreichst ja das Verkehrte!"
- 00:24:01Das Kind war schneebleich.
- 00:24:05Ein Kind, so deutsch erzogen,
- 00:24:08so voll von Glauben und Begeisterung für Hitler,
- 00:24:11wird plötzlich ausgestoßen aus einer Gemeinschaft,
- 00:24:15in der es sich gleichberechtigt glaubte.
- 00:24:19Nichts auf der Welt geht mir über Mann und Kind.
- 00:24:23Und dennoch weiß ich, dass Hitlers Rassengrundsätze richtig sind.
- 00:24:33Franz Schall in Dresden wird die Tischlerlehre zur Last.
- 00:24:39Nur in seiner Freizeit findet er noch Freude.
- 00:24:42Er ist jetzt Ausbilder bei der Hitler-Jugend.
- 00:24:51Früh Rad putzen, gegen 2 Uhr "Haus der deutschen Jugend".
- 00:24:56Hier kurze Besprechung, dann weiter zur Ausbildungsgefolgschaft.
- 00:25:01Marschierte mit ihnen in die Heide.
- 00:25:05Auch den Jungs hat's gefallen
- 00:25:07und für mich war es das Schönste am ganzen Tag.
- 00:25:11In dieser Aufgabe könnte ich aufgehen.
- 00:25:18Ich ringe jetzt um Klarheit, wo Beruf und Bewegung sich ergänzt.
- 00:25:28Neue Zeiten auch im Hause Mehs.
- 00:25:36Das Marialein wünscht sich eine braune Uniform.
- 00:25:41"Willst du lieber ein Engelskleidchen
- 00:25:43oder ein Hitlerkleid?", fragte ich dagegen.
- 00:25:47"Ein Hitlerkleid!", lautet die Antwort.
- 00:25:50"Und du, Vater, musst auch einen Hitleranzug kriegen,
- 00:25:53dann kann ich mit dir spazieren gehen."
- 00:26:02So hat Hitler sich schon in den kleinsten Seelchen festgesetzt.
- 00:26:14Der Gasthof Mehs liegt in Nähe des Bahnhofs.
- 00:26:20Die Straße führt zum Wittlicher Strafgefängnis.
- 00:26:30Heute Mittag traf wieder ein großer Zug Schutzhaftgefangener ein.
- 00:26:35Man konnte das Grauen kriegen, wenn man die Leute sah:
- 00:26:39finstere, verbitterte Gesichter.
- 00:26:48Die Nazis errichten die ersten Konzentrationslager.
- 00:26:54Politische Gegner werden inhaftiert.
- 00:27:01Wie der Führer, unser Volkskanzler Adolf Hitler, wiederholt betont hat,
- 00:27:07ist der Reichsregierung jeder zur Mitarbeit willkommen,
- 00:27:10der sich zu Deutschland bekennt.
- 00:27:13Jeder aber, der sich gegen Deutschland wendet,
- 00:27:17soll wissen, dass er als Feind des Volkes
- 00:27:20aus der Volksgemeinschaft ausgemerzt wird.
- 00:27:26Die Zentrums-Partei löst sich im Juli auf.
- 00:27:29Damit ist Matthias Mehs sein Mandat als Stadtverordneter,
- 00:27:33das er seit vier Jahren hatte, erst mal los.
- 00:27:38Doch die NSDAP in Wittlich
- 00:27:41will auf die Mitarbeit erfahrener Kommunalpolitiker nicht verzichten.
- 00:27:45Mehs überlegt.
- 00:27:49Mit den Nazis hat er eigentlich nichts am Hut.
- 00:27:5514. August 1933.
- 00:27:58Der Hitler-Gruß ist jetzt allgemein eingeführt.
- 00:28:02Ich habe mich seiner bis heute noch nicht bedient,
- 00:28:05weil sich etwas in mir dagegen sträubt.
- 00:28:09Durch diesen Gruß soll über die Nicht-Nazis triumphiert werden.
- 00:28:15Auch in der Schule ist er eingeführt,
- 00:28:17das "Grüß Gott" abgeschafft.
- 00:28:23Es ist zu überlegen, ob man aus Klugheit nicht doch mitmachen soll.
- 00:28:30Nur drei Wochen später steht Mehs
- 00:28:32in einer Stadtratssitzung mit dem Bürgermeister vor der Entscheidung.
- 00:28:40"Meine Herren, ich eröffne die Sitzung mit dem Gruß: Heil Hitler."
- 00:28:44So beginnt Neuerburg und streckt die Hand aus.
- 00:28:49Wir tun dasselbe, aber wortlos.
- 00:28:54Ich habe nun zum ersten Mal die Hand zum deutschen Gruß erhoben.
- 00:29:04Inge Thiele ist 19,
- 00:29:06Gärtnerin in Solingen im Bergischen Land.
- 00:29:10Ihr Name wurde auf Wunsch ihrer Tochter geändert.
- 00:29:16Am 2. September 1933 beginnt sie, ein Tagebuch zu schreiben.
- 00:29:24Ich möchte meinen Alltag mit seinen Freuden und Leiden hier wiedergeben.
- 00:29:28Nur ein kleiner Mensch mit großen Wünschen
- 00:29:31will hier seinen Weg beschreiben.
- 00:29:39Inge Thiele kommt von unten, aus armen Verhältnissen.
- 00:29:45Die Mutter ist ständig krank, der Vater arbeitslos, vier Geschwister.
- 00:29:53Sie ist von Castrop-Rauxel im Ruhrgebiet nach Solingen gezogen,
- 00:29:58weg von zu Hause, raus aus der Enge.
- 00:30:075. September 1933, ein warmer Septembertag.
- 00:30:14Ich stolziere mit nackten Armen und Beinen umher.
- 00:30:17Mein Körper ist ganz auf Licht und Sonne eingestellt.
- 00:30:24Wenn sich die ganze Wirtschaft kehrt,
- 00:30:26werden auch die Frauen wieder aus den Berufen verschwinden.
- 00:30:30Bis jetzt war es eine Lebensnotwendigkeit,
- 00:30:33wenigstens für unsere Kreise.
- 00:30:37Die Regierung gibt sich Mühe,
- 00:30:39den Berufsmädeln die Hausarbeit wieder näherzubringen
- 00:30:42und den Hausfrauen- und Mütterberuf begehrenswerter zu machen.
- 00:30:53Ich klettere seit ein paar Tagen in den Pflaumenbäumen herum,
- 00:30:56um den ungeheuren Pflaumensegen des Jahres zu ernten.
- 00:31:02Ich sehe nur noch Pflaumen, alles blau.
- 00:31:07Im Traum schaukele ich noch in Baumkronen.
- 00:31:18Mutterschaft und Hausarbeit, bisher nicht ihr Lebenstraum.
- 00:31:22Aber warum nicht.
- 00:31:26Wenn man nur den richtigen Mann dazu findet.
- 00:31:32Doch jetzt will sie erst einmal auf eigenen Füßen stehen.
- 00:31:37So viel Geld verdienen, dass man etwas sparen
- 00:31:40und sich was leisten kann.
- 00:31:44Ein neues Kleid.
- 00:31:48Wer uns armem Volk aus dem Dreck hilft, den werde ich anbeten,
- 00:31:53das wird mein Gott sein.
- 00:31:58Gestern Abend wurde eine Rede Adolf Hitlers
- 00:32:01auf allen Sendern übertragen.
- 00:32:03(Hitler) ... diese Sammlungen.
- 00:32:05Du hast nie den Hunger kennengelernt,
- 00:32:08sonst wüsstest du, wie lästig der Hunger ist!
- 00:32:12Hitler lässt nicht locker.
- 00:32:14Es ist notwendig, nun die große Not zu lindern.
- 00:32:18Denn all die Bedürftigen, gleich welcher Gesinnung,
- 00:32:21sollen vom Winterhilfswerk erfasst werden.
- 00:32:27Haus- und Straßensammlungen für arme Volksgenossen.
- 00:32:31Das kommt gut an.
- 00:32:35Über 1,5 Mio. Helfer machen mit,
- 00:32:37v. a. die Hitler-Jugend und der Bund Deutscher Mädel.
- 00:32:47Ich will dem BDM beitreten.
- 00:32:50Wer jetzt nicht organisiert ist, wird allmählich ein Außenseiter.
- 00:32:56Und das will ich nicht.
- 00:33:09Breslau, 8. Januar 1934.
- 00:33:14Trudi war am Nachmittag bei Dr. Braun.
- 00:33:17Sie ist sich nicht klar darüber, ob etwas "Kleines" unterwegs ist.
- 00:33:22Ich würde mich trotz der schwierigen Verhältnisse freuen,
- 00:33:26denn ich habe eine große Freude an den Kindern.
- 00:33:32Ein Kind in ungewisser Zeit.
- 00:33:35Willy Cohn wurde gekündigt, aus dem Schuldienst entlassen,
- 00:33:39weil er Sozialdemokrat war.
- 00:33:42Er hält sich und die Familie mit wissenschaftlichen Vorträgen,
- 00:33:46Aufsätzen und Privatstunden über Wasser.
- 00:33:574. Februar 1934.
- 00:34:00Glücklich im BDM.
- 00:34:05Auf Kameradschaftsgeist wird besonders Wert gelegt.
- 00:34:11Auf unsere Heimabende freue ich mich.
- 00:34:14Was mich interessiert, finde ich da.
- 00:34:19Politik, freie Aussprache, Sport, Literatur, Gesang, Musik,
- 00:34:25uns allen einen Halt bietend.
- 00:34:30Waldläufe: eine Spezialität im BDM.
- 00:34:34Alles zur besseren Gesundung der Jugend.
- 00:34:39Die Verweichlichung soll ausgerottet werden.
- 00:34:42Gestählte, widerstandsfähige Menschen: Grundpfeiler des Staates.
- 00:34:46Für minderwertige Menschen ist kein Platz mehr.
- 00:34:55Ich muss ein Rad haben.
- 00:34:58Etwas habe ich schon gespart dafür.
- 00:35:06Hamburg.
- 00:35:08Noch hat sich in der Schule von Gisela,
- 00:35:10der Tochter von Luise und Fredy Solmitz, nicht herumgesprochen,
- 00:35:14dass Gisela keine arische Abstammung nachweisen kann.
- 00:35:19Aber wie lange wird das so bleiben?
- 00:35:26Wir wissen, dass sich langsam alle Türen des Glücks,
- 00:35:30sei es in Beruf oder Ehe, auch vor Gisela schließen werden.
- 00:35:36Zittern vor jedem Zufallswort, vor jedem Besuch, jedem Brief.
- 00:35:45Was nützt es Gisela, wenn sie sich Mühe gibt in der Schule?
- 00:35:50Sie kann nichts erreichen, nichts werden.
- 00:35:54Man kann uns alles nehmen.
- 00:35:57Was bliebe uns, als Schluss zu machen?
- 00:36:00Und Gisela müsste mit.
- 00:36:111. Juli 1934.
- 00:36:14Seit ein paar Tagen haben wir den langersehnten Regen.
- 00:36:20Ich singe mir zur Arbeit ein Lied, immer Hitler-Jugend-Lieder,
- 00:36:25trotzdem ich etwas schrecklich Trauriges zu berichten habe.
- 00:36:31SA-Stabschef Röhm seines Amtes enthoben
- 00:36:34und aus der Partei ausgeschlossen.
- 00:36:36* düstere Klänge *
- 00:36:41Die Deutschen werden von der Nachricht überrascht,
- 00:36:44dass ein Putsch vereitelt worden sei.
- 00:36:46Eine "Säuberung" unter den Nazis.
- 00:36:51In SA-Chef Ernst Röhm
- 00:36:53sah Adolf Hitler einen Konkurrenten und Widersacher.
- 00:36:57Unter dem Vorwand, einen Umsturz zu verhindern
- 00:37:01und mit dem Verweis auf Röhms Homosexualität
- 00:37:04ließ er ihn verhaften.
- 00:37:10Die letzte Nacht hatte der Führer selbst
- 00:37:12die "Säuberungsaktion" durchgeführt
- 00:37:15und den verwerflichen Lebenswandel dieser Brüder aufgedeckt.
- 00:37:20Ungefähr zehn von ihnen atmen jetzt nicht mehr, sofort erschossen.
- 00:37:25* Gewitter *
- 00:37:29Auch unser Edmund Heines,
- 00:37:32den man im Bett mit einem Lustknaben getroffen hat.
- 00:37:38Das typische Ende eines Landsknechtes.
- 00:37:40Wer hoch steigt, kann auch tief fallen.
- 00:37:44Uns Breslauer Juden hat er ja besonders gequält.
- 00:37:53Im Zoo mit Susanne war es wieder wunderhübsch.
- 00:37:56Die Tiere machen ihr so viel Vergnügen,
- 00:37:59besonders die Löwen und Affen.
- 00:38:07Nach dem Tod von Reichspräsident Paul von Hindenburg
- 00:38:10übernimmt Hitler die alleinige Macht.
- 00:38:16Der "Führer" reist durch Deutschland.
- 00:38:20Am 17. August 1934 kommt er nach Hamburg.
- 00:38:25Zehntausende sind auf der Straße, unter ihnen Luise Solmitz.
- 00:38:30Sie schreibt in ihr Tagebuch:
- 00:38:35Hitlertag! Hitlerwetter!
- 00:38:38Auf der Straße wogte eine erwartungsfreudige Menge.
- 00:38:42Und dann kam Hitler.
- 00:38:46Nie vergesse ich den Augenblick,
- 00:38:48da er in seiner braunen Uniform langsam an uns vorüberfuhr,
- 00:38:52seinen Hitler-Gruß in der ihm eigenen Weise machend.
- 00:38:57Himmelhoch brandete die Begeisterung.
- 00:38:59Was schreibt die Wirklichkeit für Märchen!
- 00:39:06Es war außerordentlich schwer, sich in den Alltag zurückzufinden.
- 00:39:13(Hitler) So danke ich Ihnen, meine Hamburger,
- 00:39:17für den heutigen Tag.
- 00:39:21Er war für Sie vielleicht ein großes Erlebnis,
- 00:39:27für mich ein noch größeres!
- 00:39:30Sie haben mir Glauben gegeben,
- 00:39:34dass Deutschland nie untergehen wird!
- 00:39:39(Menge jubelt) Heil! Heil!
- 00:39:42Heil! Heil!
- 00:39:47Alles nur Hitler, Hitler, Hitler.
- 00:39:50Hitler kann alles, weiß alles, macht alles.
- 00:39:54Hitler wird das Antlitz der Erde erneuern.
- 00:40:02Die Postwagen, bisher gelb, werden nun rot gestrichen.
- 00:40:06Die gelbe Farbe für die Postwagen ist uralt, uralte Poesie.
- 00:40:11Sie muss jetzt verschwinden vor den nationalsozialistischen Farben.
- 00:40:21Das zweite Jahr des "neuen Deutschland" geht zu Ende.
- 00:40:26Kein neues Kinderglück für Familie Cohn.
- 00:40:32Nachdem schon sein ältester Sohn Deutschland verlassen hat,
- 00:40:35bereitet sich nun Ernst auf seine Ausreise nach Palästina vor.
- 00:40:42Die Kinder in Sicherheit bringen, an einen Ort, der Zukunft hat.
- 00:40:5012. Dezember 1934, Mittwoch.
- 00:40:54Mein Geburtstag.
- 00:40:57Trudi hat mir als schönste Geburtstagsfreude
- 00:41:01die drei Kinder fotografieren lassen.
- 00:41:04Das Bild ist herrlich geworden.
- 00:41:13* feierliche Musik *
- 00:41:161. Januar 1935.
- 00:41:19Den Jahresübergang feierten wir am Stammtisch in der üblichen Weise,
- 00:41:23indem wir gute alte Flaschen leerten: 1925er Domscharzhofberger,
- 00:41:291925er Wittlicher Calmet,
- 00:41:331920er Piesporter Falkenberg.
- 00:41:36* heitere Musik *
- 00:41:42Gute Vorsätze?
- 00:41:44Ach, ich stehe davon ab.
- 00:41:46Ich bin froh, wenn ich jeden Tag meine Aufgabe erfülle.
- 00:41:53Meine Wünsche? Allen alles Gute.
- 00:41:57Möge das Kind, das wir Ende März erwarten,
- 00:41:59glücklich zur Welt kommen und die Mutter kräftig und gesund bleiben.
- 00:42:0920. Januar 1935.
- 00:42:12Voriges Jahr hatte ich mir verschiedene Ziele gesetzt.
- 00:42:16Manches ist geglückt: Ein Rad besitze ich.
- 00:42:21Das Klampfe spielen glückte mir nicht,
- 00:42:24und das Sportabzeichen zu gewinnen, hatte ich noch keine Gelegenheit.
- 00:42:29Aber beides muss erreicht werden.
- 00:42:31Dazu kommt für dieses Jahr noch:
- 00:42:33Ostern oder Pfingsten mit BDM auf Fahrt.
- 00:42:42Franz Schall ist fertig mit der Lehre.
- 00:42:45Neue Möglichkeiten.
- 00:42:49Es ist vollbracht.
- 00:42:51Die Gesellenprüfung ist bestanden und ich bin Student der Pädagogik.
- 00:42:58Der Gesichtskreis ist so plötzlich erweitert,
- 00:43:02dass man vorerst wie ein Blinder einhertappt,
- 00:43:04der aus langjährigem Dunkel in das Licht des Tages schaut.
- 00:43:10Er zieht nach Jena.
- 00:43:13Fürs Tagebuchschreiben bleibt dem Studenten Schall keine Zeit.
- 00:43:18Er hört auf damit.
- 00:43:23Erhalten ist ein Brief von Schall an den Vater,
- 00:43:27der von der Gestapo festgenommen
- 00:43:29und der Vorbereitung zum Hochverrat verdächtigt wird.
- 00:43:33* Stift kratzt. *
- 00:43:38Ich habe schon immer gefürchtet,
- 00:43:40dass deine Ablehnung und negative Haltung
- 00:43:42dich in Unannehmlichkeiten bringen würde.
- 00:43:48Ich betrachte die Gegenwart wie jeder Nationalsozialist
- 00:43:51nicht durch eine schöngefärbte Brille,
- 00:43:53sondern sehe seine Fehler und Schwächen wie jeder,
- 00:43:56der offene Augen und Ohren hat.
- 00:44:00Das verpflichtet mich dazu,
- 00:44:02mich umso mehr für den neuen Staat einzusetzen.
- 00:44:06* Jubel und Stampfen im Gleichschritt *
- 00:44:12Nun aber Schluss, die Vorlesung ruft.
- 00:44:16Heil Hitler! Franz Albrecht.
- 00:44:29Pfingsten.
- 00:44:32Inge Thiele freut sich auf die langersehnte Radtour mit dem BDM.
- 00:44:42Mit 14 Mädeln ging die Fahrt los, den Rhein entlang.
- 00:44:47Hinter uns pendelten zwei junge Herren mit ihrem Motorrad.
- 00:44:54Nach den ersten schüchternen Versuchen kam ein Gespräch in Gang.
- 00:44:59Der große blonde Mensch hatte es mir sofort angetan.
- 00:45:03Wenn er lachte, blitzten die Zähne in dem braunen Gesicht.
- 00:45:07Ich war einfach selig.
- 00:45:10Wir gingen bald Hand in Hand.
- 00:45:13Wir küssten uns und tändelten wie verliebte Leute.
- 00:45:18Die folgenden Stunden und Tage waren nur ein Traumwandeln,
- 00:45:23so froh und traurig war ich zugleich,
- 00:45:26dass alles so schnell vorbei war.
- 00:45:34Vor ein paar Monaten wurde Elisabeth geboren.
- 00:45:38Jetzt sind es drei Kinder im Hause Mehs.
- 00:45:44Für Matthias Mehs eine große Verantwortung.
- 00:45:47Das Geschäft muss laufen.
- 00:45:52In vielen Lokalen in Wittlich sind Juden inzwischen unerwünscht.
- 00:46:01Es war nun an der Zeit,
- 00:46:03auch meinerseits die Judenfrage einer Prüfung zu unterziehen.
- 00:46:08Weil den Juden in den anderen Lokalen
- 00:46:10der Zutritt verboten worden war,
- 00:46:12haben sie sich natürlich zu mir hingezogen.
- 00:46:19Im Sommer hatte ich fast jeden Abend schönen Betrieb im Garten.
- 00:46:23Und da ist mir aufgefallen, dass öfters Juden kamen,
- 00:46:27v. a. Jugendliche mit ihren Schicksen,
- 00:46:30setzten sich ausgerechnet unters Licht der Gartenlampe,
- 00:46:34wo sie von jedem gesehen werden mussten.
- 00:46:40Dass dies manchem Beamten unangenehm sein würde,
- 00:46:43mussten die Juden wissen, als wollten sie sagen:
- 00:46:46Hier ist unser Lokal, hier kommt die Regierung nicht gegen uns an,
- 00:46:50hier können wir machen, was wir wollen.
- 00:46:57Und weil die Juden das von Woche zu Woche schlimmer machten,
- 00:47:01habe ich sie wissen lassen, dass es von nun an besser sei,
- 00:47:05wenn wir uns gegenseitig etwas meiden würden.
- 00:47:15Seit der Zeit ist mein Lokal sozusagen "judenrein".
- 00:47:28Überall stößt man jetzt auf die Aufschrift:
- 00:47:31"Juden sind hier nicht erwünscht".
- 00:47:34Der "Stürmer" bringt immer die schönsten Sachen über Juden,
- 00:47:37Dunkelmänner und Meckerer.
- 00:47:40Niemand bringt solche Rassejuden-Gesichter zustande.
- 00:47:4912. September 1935.
- 00:47:53Ein unerhört unflätiges Plakat des "Stürmer"
- 00:47:56klebt an den Anschlagsäulen.
- 00:47:58Das "Mördervolk".
- 00:48:06Es ist schlimm, dass man in einer solchen Umgebung leben muss,
- 00:48:10die solche Beschimpfungen zulässt.
- 00:48:15Obwohl ich mich bemühe,
- 00:48:17von den Dingen so wenig wie möglich innere Notiz zu nehmen,
- 00:48:20konnte ich nicht vermeiden, dass ich in der Nacht davon träumte.
- 00:48:29Willy Cohns zweiter Sohn Ernst hat im Februar Deutschland verlassen.
- 00:48:38Wenn man Kinder so weit weg hat,
- 00:48:41ist man natürlich immer etwas unruhig.
- 00:48:45Und doch bin ich glücklich, dass sie draußen in Freiheit sind,
- 00:48:49wo man keine Pranger-Tafeln durch die Straßen trägt.
- 00:48:53* feierliche Musik *
- 00:48:57Der gegenwärtig in Nürnberg tagende Parteitag der "Freiheit"
- 00:49:02bringt natürlich auch wieder die üblichen Beschimpfungen gegen uns.
- 00:49:06* Jubel und Stampfen im Gleichschritt *
- 00:49:09Am Ende des Parteitages der NSDAP Mitte September 1935
- 00:49:14werden die Nürnberger Gesetze verkündet.
- 00:49:20Mit Bangen erwartet Familie Solmitz die Bestimmungen.
- 00:49:29Hinter allen Gesetzen steht die Partei
- 00:49:32und mit ihr und hinter ihr die deutsche Nation.
- 00:49:35Mitternacht.
- 00:49:37Verkündung der Gesetze im Rundfunk.
- 00:49:41Gisela ist jetzt 15 Jahre alt.
- 00:49:46Gisela wachte noch: "Hat er schon was gesagt?
- 00:49:50Ich habe solche Angst."
- 00:49:55Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen Deutschen
- 00:50:00oder artverwandten Blutes sind verboten!
- 00:50:04* Menge jubelt. *
- 00:50:08(Solmitz) Unser bürgerliches Todesurteil.
- 00:50:12Wer meine Tochter heiratet, kommt ins Zuchthaus - und sie mit.
- 00:50:17(Göring) Sieg Heil! - (Menge) Heil!
- 00:50:19Sieg ... - Heil!
- 00:50:21Wir gehören nicht mehr zu euch, dürfen es nicht.
- 00:50:26Dieses Bewusstsein und dieser Wille
- 00:50:29waren das Endergebnis des Nürnberger Reichsparteitages für mich.
- 00:50:34So leicht, wie sich das denkt und schreibt,
- 00:50:36lebt sich das nicht.
- 00:50:39Unser Kind ist ausgestoßen, ausgeschlossen, verachtet, wertlos.
- 00:50:46Kein Beruf, keine Zukunft, keine Ehe.
- 00:50:52Inge Thiele dagegen ist begeistert von dem "Rassengesetz".
- 00:50:58Alles für die Reinhaltung unseres Blutes.
- 00:51:02Also, ihr Juden: Hübsch auf den Platz,
- 00:51:05den wir, eure Gastgeber, euch zuweisen.
- 00:51:13Man müsste unserem Führer danken für solche wunderbaren Gesetze.
- 00:51:17Und wehe euch, ihr Spötter aus der vergangenen Epoche.
- 00:51:21Wir, die Jugend, sind da. Uns hat der Führer.
- 00:51:25Und sein Glaube und Ziel ist der unsere.
- 00:51:38Eines der in Nürnberg erlassenen Gesetze
- 00:51:41hat für Gastwirt Mehs Konsequenzen.
- 00:51:46Die Hakenkreuzfahne wird Reichsflagge.
- 00:51:50Ich werde mir eine Hakenkreuzfahne anschaffen.
- 00:51:52Jetzt ist es keine Parteifahne mehr.
- 00:51:56Und man legt durch das Heraushängen kein politisches Bekenntnis mehr ab.
- 00:52:04"Das hätte keiner geglaubt", sagte mir ein Bekannter,
- 00:52:07"dass Sie mal eine Hakenkreuzfahne zeigen würden."
- 00:52:15Ende des Jahres werden die ersten Durchführungsverordnungen
- 00:52:18der Nürnberger Gesetze veröffentlicht.
- 00:52:22Gibt es eine Chance,
- 00:52:23dass Fredy doch nicht zu einem Bürger zweiter Klasse wird?
- 00:52:30Ich überflog erst und suchte das vielleicht Tröstliche heraus.
- 00:52:35Und da ist etwas: Der Führer kann Ausnahmen zulassen.
- 00:52:42Die Zeitung braucht Fredy für seinen Brief an den Führer,
- 00:52:45den er eben schreibt.
- 00:52:48Wenn er doch Erfolg hätte!
- 00:52:51* Spule knackt. *
- 00:52:54Während Fredy seinen Brief aufsetzte,
- 00:52:56hörte ich im Wohnzimmer Beethovens sechste Sinfonie.
- 00:53:02Ich saß im Dunkeln,
- 00:53:04Mond und Laternenschein lag auf den weißen Vorhängen.
- 00:53:08Eine wundersame Stimmung,
- 00:53:11und ein Herz, das 100 Gedanken wälzte, nicht wusste,
- 00:53:16ob Bitterkeit, ob Hoffnung die Oberhand behalten sollten.
- 00:53:20* klassische Musik *
- 00:53:28Die Zukunftssorgen bleiben.
- 00:53:31Und die Angst.
- 00:53:36Vorm Zubettgehen sagte mir Gisela:
- 00:53:39Vielleicht bin ich in einem Jahr schon gestorben,
- 00:53:43und keines natürlichen Todes.
- 00:53:47Untertitel: rbb 2025 Kerstin Ettlich
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