00:00:00
.
00:00:04
Noch heute fassen mir
ab und zu Menschen in die Haare,
00:00:07
weil sie wissen möchten,
wie sich solche Locken anfühlen.
00:00:14
Guten Tag, meine Damen und Herren,
00:00:16
ich begrüsse Sie
zur Mittagsausgabe der "Tagesschau".
00:00:19
Heute ist es
nicht mehr die Schokolade,
00:00:22
das getraut sich niemand mehr.
00:00:24
Aber es ist Latte macchiato
oder Café mélange.
00:00:30
Das sagen Leute zu dir?
- Ja.
00:00:33
Und was sagst du dann?
- Nichts.
00:00:38
* Applaus *
00:00:40
Ich wollte den Rassismus
eigentlich gar nicht sehen.
00:00:44
Ich wurde so erzogen ...
00:00:47
... dass ich ihn
teilweise gar nicht sah.
00:00:52
* Rhythmische Musik *
00:00:55
Angélique Beldner -
00:00:57
die erste schwarze News-Moderatorin
des Schweizer Fernsehens.
00:01:01
Ihre Hautfarbe
wollte sie nie zum Thema machen.
00:01:04
Doch dieser Sommer
hat ihr Leben verändert.
00:01:11
MIT TELETEXT-UNTERTITELUNG
00:01:27
(Sprechchöre) Black lives matter!
Black lives matter!
00:01:32
6. Juni 2020: Tausende von Menschen
gehen in der Schweiz auf die Strasse
00:01:37
und protestieren
gegen Rassismus im eigenen Land.
00:01:42
Angélique Beldner
kommt in ein Dilemma.
00:01:46
Weil ich mir über all die Jahre
00:01:50
eine Strategie zurechtgelegt habe,
die mir möglichst nicht wehtut.
00:01:59
Es zeigt sich daran,
00:02:01
dass ich praktisch nie
über Rassismus gesprochen habe
00:02:05
und auch nicht
darüber sprechen wollte.
00:02:08
Es zeigt sich daran, dass ich
Rassismus entschuldigt habe,
00:02:15
dass ich z.B. gesagt habe,
das sei alles nicht böse gemeint.
00:02:20
Ich war viel zu lange viel zu nett.
00:02:27
Und das hat sich
diesen Sommer geändert.
00:02:31
Ich finde:
Das muss jetzt aufhören.
00:02:37
Es ist Mitte August.
00:02:39
Angélique Beldner
ist auf dem Weg ins Berner Oberland.
00:02:44
(Durchsage) Frutigen.
00:02:49
In Frutigen hat sie die ersten Jahre
ihrer Kindheit verbracht.
00:02:53
Die Mutter war zu der Zeit
Lehrerin im Dorf.
00:02:56
Sie unterstützt Angélique Beldner bei
der Aufarbeitung ihrer Geschichte,
00:03:00
aber nicht vor der Kamera.
00:03:02
Jetzt geht sie zur Grosstante,
00:03:04
bei der sie damals zusammen
mit ihrer Mutter gewohnt hat.
00:03:09
* Türsummer *
00:03:14
Ja, hallo.
00:03:17
Begrüssen wir uns so?
* Kussgeräusche, Lachen *
00:03:20
Es ist halt etwas anders als sonst.
00:03:24
Grosstante Lydia Schlup
und deren Tochter Béatrice gehörten
00:03:28
zu den engsten Bezugspersonen
in Angéliques Beldners Kindheit.
00:03:33
Über Rassismus oder ihre Hautfarbe
sprach sie mit ihnen noch nie.
00:03:38
Als ich zur Welt kam
und ihr mich das erste Mal saht,
00:03:45
wie war das?
00:03:47
Dich hat man aufgenommen,
wie du warst. Fertig.
00:03:50
Man machte sich keine Gedanken,
du könntest evtl. anders aussehen
00:03:54
oder würdest nicht hierhergehören.
00:03:57
Du warst von Anfang an
in die Familie integriert.
00:04:00
Wir nahmen das
als selbstverständlich.
00:04:03
Du hast auch von Anfang an
unsere Sprache gesprochen.
00:04:07
Das hat viel ausgemacht.
00:04:09
Du hast dich verhalten
wie unsere Kinder und andere.
00:04:12
Das macht viel aus.
00:04:15
Du lagst friedlich und zufrieden
in diesem weissen Bettchen.
00:04:20
Du warst nicht mal so mokkafarben,
sage ich jetzt mal.
00:04:24
Aber plötzlich
wurde die Haut dunkler,
00:04:27
und die Haare
begannen sich zu krausen.
00:04:29
Seid ihr erschrocken?
00:04:31
Nein, wir kannten ja deinen Vater,
haben ihn gesehen.
00:04:35
Deshalb war es keine Überraschung.
00:04:37
Dachtest du nicht,
es wäre einfacher gewesen,
00:04:40
wenn dieses Mädchen
so geblieben wäre?
00:04:43
Vielleicht wäre es
für dich einfacher gewesen.
00:04:46
Aber mir hat es nichts ausgemacht.
00:04:51
Wohlbehütet sei sie aufgewachsen,
sagt Angélique Beldner.
00:04:54
Zur alleinerziehenden Mutter
mit dem schwarzen, unehelichen Kind
00:04:59
habe kaum jemand Fragen gestellt.
00:05:05
Die Familie war angesehen im Dorf.
00:05:15
Angélique Beldners Vater
war weit weg.
00:05:19
Der Informatiker aus Paris
und ihre Mutter
00:05:22
waren drei Jahre ein Paar.
00:05:25
Vor der Geburt
der gemeinsamen Tochter
00:05:28
trennte sich die Mutter von ihm.
00:05:34
Wie wäre es gewesen
oder was hätte sich geändert,
00:05:37
wenn mein Vater, der in Paris war
und in Paris geblieben ist,
00:05:42
in die Schweiz gekommen wäre?
00:05:44
Wenn er da gewesen gewesen wäre,
dann wäre es ähnlich gewesen,
00:05:48
wie man es jetzt erlebt,
wenn Leute aus dem Ausland kommen.
00:05:53
Sei es aus Paris oder Eritrea.
00:05:56
Zuerst einmal stellt sich die Frage,
ob der Mann arbeitet.
00:06:00
Das ist hier im Dorf
schon sehr wichtig.
00:06:03
Gut, bei ihm wäre es
wohl eher umgekehrt gewesen:
00:06:06
Deine Mutter
hätte weiterhin gearbeitet
00:06:09
und er wäre Hausmann geworden.
00:06:11
Ihn hätten wir
nicht auch noch aufgenommen.
00:06:13
Eine ganze Familie
hätten wir nicht aufgenommen.
00:06:17
Inmitten einer weissen Umgebung
wuchs Angélique Beldner auf.
00:06:22
Seit ihrer Kindheit stecke dieses
Gefühl vom Sich-anpassen-Wollen
00:06:27
tief in ihr drin.
00:06:29
Dazugehören -
zu einer weissen Mehrheit.
00:06:34
Wie habt ihr es so mit Begriffen?
00:06:37
Wie steht ihr
zur Mohrenkopf-Debatte?
00:06:42
Das passt dir vielleicht nicht,
00:06:44
aber Mohrenköpfe sind für mich
immer noch Mohrenköpfe.
00:06:48
Und sie werden das
vorläufig auch bleiben.
00:06:50
Aber vielleicht
ändere ich ja mal meine Meinung.
00:06:53
Weisst du, mir sagte man Mohrenkopf
als Schimpfwort,
00:06:57
mir hat man das hinterhergerufen.
00:06:59
Ich reagiere deshalb vielleicht ein
bisschen empfindlich, wenn man sagt:
00:07:04
"Ich nannte das schon immer so
und werde dies auch weiterhin tun."
00:07:08
Verstehst du das,
oder müsste ich mich ändern?
00:07:11
Ich verstehe deine Sichtweise,
bleibe aber bei meiner Meinung.
00:07:14
Da wäre eine Anpassung
unsererseits gefragt.
00:07:17
Das ist meine klare Meinung.
00:07:20
Man sollte mit der Sprache
niemanden absichtlich verletzen.
00:07:24
Das finde ich nicht gut.
00:07:26
Man muss es erst mal einsehen
und ändern wollen.
00:07:29
Man muss es erkennen.
00:07:31
Solange ich das Gefühl habe,
es sei lustig ...
00:07:34
Es ist nicht so wichtig, warum
gibt man dem diese Wichtigkeit?
00:07:37
Aber ich fand es
schon als Kind nicht lustig,
00:07:40
und zwar ganz und gar nicht.
- Echt? - Nein, gar nicht.
00:07:44
Und dann musste ich
den schwarzen Mann spielen,
00:07:47
das fand ich auch nicht lustig.
00:07:49
Ja, das kann ich
schon eher verstehen.
00:07:51
Und trotzdem: Es ist ein Spiel.
00:07:54
Ob man das jetzt alles
auf sich beziehen will ...
00:07:58
Ich habe Zeit meines Lebens
bessere Erfahrungen gemacht,
00:08:02
wenn ich solche Dinge
nicht angesprochen habe.
00:08:05
Es ist für mich viel einfacher,
den Mohrenkopf zu akzeptieren
00:08:09
und dich zu akzeptieren,
wie du bist,
00:08:11
dass du das Mohrenkopf nennst,
und mir zu sagen:
00:08:15
"Es hat mit mir nichts zu tun,
ich nehme es nicht persönlich",
00:08:19
als eine solche Diskussion
zu führen,
00:08:21
bei der ich erkenne,
dass du einen Standpunkt hast,
00:08:25
von dem du nicht abweichst.
00:08:27
Es ist für mich
die schwierigere Einsicht,
00:08:30
dass meine Mama Lily,
die mich grossgezogen hat,
00:08:35
dieses Ding
immer noch Mohrenkopf nennt.
00:08:38
Du bleibst beharrlich
bei deinem Standpunkt.
00:08:41
Denk du nur,
ich sei uneinsichtig.
00:08:44
Ich stehe dazu.
00:08:46
Ich will mein Mäntelchen
nicht nach dem Wind hängen,
00:08:49
nur weil es
jemand anderem nicht passt,
00:08:52
und dann meine Meinung ändern.
00:08:58
Ist es heute noch okay,
Mohrenkopf zu sagen?
00:09:01
Oder gehört der Begriff dorthin,
wo er herkam, nämlich ins 19. Jh.?
00:09:07
Eine Tradition verletzt
und würdigt herab.
00:09:11
Das erstmals zu benennen,
sei nicht einfach,
00:09:14
sagt Angélique Beldner.
00:09:17
Ein Problem ist natürlich,
00:09:19
dass ich dann als eine Person gelte,
die ich nicht bin.
00:09:25
Z.B. als empfindlich.
00:09:31
Als jemand,
der sich dauernd auflehnt,
00:09:33
eine Schwierige, eine Komplizierte.
00:09:36
Das sind alles Eigenschaften,
00:09:40
die ich eher als negativ empfinde.
00:09:43
So möchte ich nicht sein,
00:09:45
und ich behaupte auch,
dass ich nicht so bin.
00:09:50
Und wenn ich jetzt aufstehe
und sage,
00:09:52
dass ich dies und jenes
nicht mehr will,
00:09:55
dann muss ich in Kauf nehmen,
00:09:57
dass mir diese Eigenschaften
nachgesagt werden.
00:10:01
In ihrem Leben nahm sie bisher den
für sie einfacheren Weg: schweigen.
00:10:08
Ich finde es schön,
00:10:10
dass man im Fernsehen
auch Menschen wie dich zeigt.
00:10:14
Als ich dich das erste Mal in der
18-Uhr-"Tagesschau" gesehen habe,
00:10:18
waren deine Haare
derart nach hinten frisiert,
00:10:21
dass ich dich
fast nicht erkannt habe.
00:10:24
Ich fragte mich:
"Was machen die nur mit dir?"
00:10:27
Ich bin es gewohnt,
dass du Locken hast,
00:10:30
aber die Haare
waren nach hinten frisiert.
00:10:33
Ich hatte das Gefühl, sie wollen
dich nicht so, wie du bist.
00:10:37
Wolltest du dir das Haar
nach hinten frisieren lassen?
00:10:42
Das ist eben genau der Punkt.
00:10:45
Ich hatte das Gefühl,
es stehe mir gar nicht zu,
00:10:49
mir genau zu überlegen,
was ich möchte.
00:10:54
Ich lasse mir sagen,
was möglich ist.
00:10:56
Und wenn sie mir sagen, es sei nicht
möglich, weil es nicht gut aussieht,
00:11:01
wegen des Lichts usw.,
dann glaube ich das.
00:11:03
Und da sind wir wieder
bei der Geschichte von früher.
00:11:06
Möglichst anpassen, möglichst ...
00:11:08
Es soll stimmen.
00:11:11
Und bei dieser Geschichte
findest du,
00:11:13
ich hätte aufstehen
und sagen sollen:
00:11:16
"Hey, stopp, Moment!"
00:11:18
"Ich möchte das gerne anders."
- Genau.
00:11:21
Man kann es ja anständig sagen.
00:11:23
Sie sollen es ausprobieren
und die Reaktionen abwarten.
00:11:27
Aber so wurde ich nicht erzogen.
00:11:29
Darum brauchst du jetzt
diesen Prozess, um zu wissen,
00:11:32
was du selber willst,
und wo du stehst.
00:11:35
Genau. Ja.
00:11:43
Das ist die erste "Tagesschau"
an diesem heissen Mittwoch.
00:11:47
Ich begrüsse Sie zur Sendung
mit diesen Themen.
00:11:51
SRF-Chefstylistin Tatjana Kotoric
ordnet den Auftritt ein.
00:11:56
Wie bei allen SRF-Moderatoren
und -Moderatorinnen
00:11:59
wählten wir auch für Angélique
bei ihrem Moderationsstart 2015
00:12:03
ein Styling, das zu den News passt:
elegant und ausdrucksstark.
00:12:07
Unsere Stylingrichtlinien 2015
waren so,
00:12:09
dass die Kleider und die Haare
elegant wirken,
00:12:13
aber durch Volumen oder Dominanz
00:12:15
nicht zu sehr
vom Inhalt ablenken sollten.
00:12:18
Das war uns
bei allen Moderatoren wichtig.
00:12:21
Das waren stets
unsere Beurteilungskriterien.
00:12:23
Inzwischen
ist die Businessmode viel lockerer.
00:12:26
Frauen tragen oft Seidenblusen
mit Jupes oder Kleidern,
00:12:30
und auch die Haare
dürfen lockerer getragen werden.
00:12:34
Fünf Jahre ist es her.
00:12:36
Heute trägt Angélique Beldner
ihr Haar am Bildschirm auch offen.
00:12:42
Haar und Hautfarbe
sind die offensichtlichen Merkmale,
00:12:45
die darauf schliessen lassen,
00:12:47
dass sie einen
anderen kulturellen Hintergrund hat.
00:12:51
Doch damit
liegt man bei ihr grundfalsch.
00:12:55
Schon als Kind
00:12:57
konnte ich die Frage nach
meiner Herkunft nicht ausstehen.
00:13:01
Wenn jemand fragte, woher ich komme,
antwortete ich stets: "Aus Bern."
00:13:07
Und wenn dann jemand nachfragte,
woher ich wirklich komme,
00:13:11
antwortete ich:
"Ich komme wirklich aus Bern."
00:13:14
Und wenn dann jemand
nach meinen Wurzeln fragte,
00:13:17
antwortete ich nochmals:
"Die sind in Bern."
00:13:20
Was wirklich wehtut:
00:13:24
Wenn man solche Fragen
immer und immer wieder hört,
00:13:27
und zwar sehr früh
in einem Gespräch,
00:13:31
dann empfinde ich das so,
als würde man mir sagen:
00:13:34
"Du bist nicht Teil dessen,
was wir hier haben."
00:13:39
Hoi, Tristan.
00:13:41
Mit SRF-Chefredaktor Tristan Brenn
00:13:43
will sie erstmals über eine Erfahrung
im Fernsehen reden,
00:13:47
die mit ihrer Hautfarbe zu tun hat.
00:13:50
Als ich mich vor 15 Jahren erstmals
für die "Tagesschau" bewarb,
00:13:54
sagte man mir,
die Schweiz sei noch nicht so weit,
00:13:57
noch nicht bereit für eine
dunkelhäutige News-Moderatorin.
00:14:01
Ich kann das fast nicht glauben.
00:14:03
Das ist nicht ewig her,
das war vor 15 Jahren.
00:14:07
Wenn man hier im Haus
das Gefühl gehabt hätte,
00:14:12
gewisse Leute
könnten Anstoss nehmen
00:14:15
an einer Moderatorin
mit einer anderen Hautfarbe,
00:14:18
hätte man den Schritt erst recht
wagen und dich anstellen müssen.
00:14:23
Wurde dir das so als Begründung
mitgeteilt? Oder wie war das damals?
00:14:27
Das hat man mir nicht direkt gesagt.
00:14:30
Direkt sagte man mir,
es gäbe halt noch andere Gründe,
00:14:33
aber hintenherum
habe ich davon erfahren.
00:14:36
Dann hast du nachgefragt,
was die anderen Gründe seien,
00:14:39
und dann stellte sich heraus ...
- Genau.
00:14:42
Ich bin sehr überrascht
über eine solche Aussage,
00:14:45
über eine solche Wertung.
Ich kann es mir nicht erklären.
00:14:48
Ich sage dir,
was ich damals gedacht habe:
00:14:52
Ich fand es gar nicht so schlimm.
00:14:54
Fandest du es nicht so schlimm,
00:14:56
weil du dir
solche Dinge gewohnt warst?
00:14:58
Ich war es gewohnt
und verstand es auch.
00:15:01
Wenn man nicht weiss, wie das Land
auf jemanden wie mich reagiert,
00:15:05
ist es vielleicht besser,
wenn man es sein lässt.
00:15:08
Das ist ...
Du hast so gedacht, ja.
00:15:12
Fernsehzuschauer und -zuschauerinnen,
die sie als Mensch abwerten,
00:15:17
weil sie eine andere Hautfarbe hat,
die gibt es.
00:15:23
Einige Zuschauer
sind eindeutig rassistisch.
00:15:26
Die schreiben mir z.B.,
es reiche mit der Vernegerung.
00:15:30
Und dann gibt negative Kommentare,
00:15:34
von denen ich nicht
eindeutig sagen kann,
00:15:37
ob sie etwas
mit Rassismus zu tun haben.
00:15:42
Eine Frau schrieb mir z.B.,
ich soll das WC putzen gehen.
00:15:45
Dafür sei ich gut genug,
sonst für gar nichts.
00:15:49
Die Kultur der Schweiz sei bedroht,
00:15:51
wenn mehr schwarze Menschen
das öffentliche Bild prägen -
00:15:55
so eine Umfrage des Bundesamtes
für Statistik aus dem Jahr 2017.
00:16:01
Guten Tag zusammen.
00:16:04
Wir sind zurück in Frutigen,
00:16:06
am Stammtisch
des Restaurants Simplon.
00:16:08
Angélique Beldner
stellt sich der Rassismusdiskussion.
00:16:12
Mich dünkt einfach das Wort Neger
nicht unbedingt falsch bzw. schlimm.
00:16:17
Wäre ich dann ein Neger für Sie?
00:16:21
Ich weiss nicht,
was schlimm daran ist,
00:16:24
wenn ich ihn Neger nenne.
00:16:27
Nicht irgendjemand, sondern ich:
Bin ich ein Neger?
00:16:32
Ich glaube nicht.
- Nein, nicht.
00:16:35
Und warum nicht?
00:16:37
Ein Neger ist für mich
etwas ganz anderes.
00:16:41
Was denn?
- Es ist auch nichts Schlimmes.
00:16:44
Was ist denn anders?
00:16:46
Dann bist du halt eine Negerin.
Das ist auch nichts Schlimmes.
00:16:50
Wir nennen dich Neger,
weil du schwarz bist.
00:16:53
Ja.
00:16:54
Wir nennen dich aber nicht so,
00:16:56
weil das für uns
etwas Negatives ist.
00:17:00
Das ist der Ursprung.
00:17:02
Was war der schwarze Mann
ursprünglich?
00:17:05
Das war der Sklave,
das war der Nigger.
00:17:09
Ich würde sagen,
daher kommt dieses Wort.
00:17:12
Genau, und was heisst das für Sie?
00:17:14
Dass Sie dieses Wort
nicht verwenden?
00:17:17
Nein, sicher nicht.
00:17:20
Das war ein Sklave, nicht wahr?
00:17:23
Ich sagte nie Neger,
weil es ein böses Wort ist.
00:17:27
Klar sagte man: "Du huere Neger."
"Ich bin doch nicht dein Neger."
00:17:31
Und schon
widersprichst du dir.
00:17:33
Schon widersprichst du dir.
- Ja, das sagte man.
00:17:36
Eben, aus welchem Grund
hast du es gesagt?
00:17:39
Darfst du nicht mehr machen -
also hey, hallo?
00:17:42
Aus welchem Grund
hast du es gesagt?
00:17:45
Weil er nicht gut gearbeitet hat.
00:17:47
Aber er hat ...
- Ja.
00:17:49
Weil er ein fauler Kerl war?
- Ja, genau. - Eine mistfaule Ratte.
00:17:53
Aber er hätte das dir ja
vielleicht auch sagen können.
00:17:57
Das nicht gerade, aber ...
- Du bist manchmal auch so.
00:18:00
Ja.
00:18:02
Eine Definition von Rassismus ist,
00:18:05
Menschen
auf ihre Herkunft reduzieren,
00:18:07
ihnen kollektive Merkmale zuschreiben
und sie deswegen herabsetzen.
00:18:14
Rassendiskriminierung kenne ich
hier im Berner Oberland nicht.
00:18:20
Das ist ja umso besser.
00:18:22
Wir haben so viele Touristen.
00:18:24
Wir haben auch Schlitzaugen,
wir haben Schwarze ...
00:18:27
Du bist eine schöne Brasilianerin,
eben angebräunt.
00:18:33
Eine willkommene ...
00:18:35
Bei deiner Rasse glaube ich nicht,
00:18:37
dass jemand fragen würde:
"Woher kommst du?"
00:18:40
Doch, das werde ich häufig gefragt.
- Echt?
00:18:43
Z.B. komme ich
auch nicht aus Brasilien.
00:18:46
Ja, aber vielleicht
wollen sie auch fragen ...
00:18:49
Männlich, ja:
"Ich hätte mit dir gerne Kinder."
00:18:53
Aha, du hast das Gefühl,
das habe etwas damit zu tun.
00:18:57
Ja, eben, wir hätten schöne Kinder.
00:19:00
Aha.
00:19:03
Bleib, wie du bist.
- Alles Gute, danke.
00:19:05
Du würdest dich nur verwässern.
00:19:13
Das ist schlimm.
00:19:15
Er kommt mir auch viel zu nahe,
nur schon körperlich.
00:19:19
Ich hatte schon lange
keine Nackenschmerzen mehr,
00:19:22
aber jetzt habe ich welche.
00:19:24
Schon als Kind hatte ich das Gefühl,
es fehle die Distanz.
00:19:30
Man spürt die Distanz nicht zu mir.
00:19:34
Oder es sei nicht nötig,
man dürfe mich doch berühren.
00:19:37
Es sei ja interessant, gut gemeint:
"Bist ja ein Herziges."
00:19:48
Wie gehen wir als Gesellschaft
mit Rassismus um?
00:19:51
Darüber müssen wir reden.
00:19:53
Noch den Gedanken fertigmachen,
dann Sie.
00:19:55
Denn auch wenn man
nur Persons of Color einlädt,
00:19:58
gibt es verschiedene Meinungen.
00:20:00
Frau Binkert denkt ganz bestimmt
nicht so wie ich, und du auch nicht.
00:20:05
Und das wäre schön gewesen.
00:20:07
Bei einem Titel
wie "Jetzt sprechen die Schwarzen"
00:20:10
sollte man auch Schwarze einladen,
es ist 50:50.
00:20:13
Diese Sendung
wurde heftig kritisiert.
00:20:15
Von Debakel und Fiasko war die Rede,
00:20:18
weit weg von einer
konstruktiven Rassismusdiskussion.
00:20:21
Der Auftritt von Angela Addo
war für Angélique Beldner wegweisend.
00:20:26
Sie spricht mir aus dem Herzen.
00:20:28
Ich verstehe alles, was sie sagt.
00:20:31
Ich weiss, was sie meint, aber es
kommt bei den anderen nicht an.
00:20:36
Ich wüsste nicht,
was sie anders hätte machen müssen,
00:20:40
damit es ankommt.
00:20:42
Und ich dachte:
"Deshalb sage ich nichts."
00:20:46
Genau darum sage ich nichts,
00:20:48
und sie lief jetzt quasi
ins offene Messer.
00:20:51
Aber gleichzeitig dachte ich:
00:20:53
"Sie läuft auch für mich
ins offene Messer."
00:20:56
Denn es geht nicht nur um sie.
00:20:58
Es geht um uns.
00:21:01
Um uns Schwarze.
00:21:04
Zum ersten Mal
sagte ich selber zu mir:
00:21:08
"Und ich gehöre da dazu.
Ich bin schwarz."
00:21:13
Angélique Beldner trifft die Black-
Lives-Matter-Aktivistin Angela Addo
00:21:18
bei einem Konzert in Zürich.
00:21:21
(Jazzgesang)
# Stormy weather.
00:21:24
# Love me or leave me, let go.
00:21:27
# Say do, say don't ...
00:21:35
# Stormy weather.
00:21:39
Sie will mit Angela Addo
über die Sendung sprechen
00:21:43
und welche Folgen
diese für sie hatte.
00:21:48
Es war für mich sehr brutal,
dort zu sitzen.
00:21:53
Ich kann mich noch sehr gut
an die erste Frage erinnern,
00:21:58
die an Herrn Foley ging:
Gibt es Rassismus in der Schweiz?
00:22:04
Mir fiel die Kinnlade runter.
00:22:06
Dass man so was
überhaupt noch fragt?
00:22:08
Da dachte ich wirklich ...
00:22:11
Ich weiss noch,
00:22:13
wie ich meine Hände zusammenfaltete
und dachte:
00:22:16
"Soll ich jetzt aufstehen,
soll ich einfach aufstehen?"
00:22:20
Aber ich habe es durchgezogen,
worüber ich echt froh bin,
00:22:24
denn Hunderte von Leuten,
die ich gar nicht kenne,
00:22:29
standen nach der Sendung hinter mir.
00:22:32
Das war krass.
00:22:34
Ich meine, ich kriege
auch viele Hassnachrichten.
00:22:39
Aber das bestätigt genau, dass das,
was ich mache, wichtig ist.
00:22:43
Und die erste "Arena"-Sendung
hat ja genau das widergespiegelt,
00:22:48
was uns im Alltag
als schwarze Menschen widerfährt:
00:22:53
Man verleugnet und vertuscht es.
00:22:57
Das Wort Gaslighting
ist ein so wichtiges Wort,
00:23:02
weil man im Alltag
immer wieder erlebt,
00:23:06
dass die Gefühle, die man wahrnimmt,
nicht ernst genommen werden,
00:23:11
und dass gesagt wird:
"Das gibt es nicht."
00:23:15
Rassismuserfahrungen absprechen -
00:23:17
die beiden Frauen
haben es zur Genüge erlebt.
00:23:23
(Durchsage) Paris, Gare de Lyon,
unser Zielbahnhof.
00:23:26
Es ist September.
00:23:28
Angélique Beldner
auf dem Weg zu ihrem Vater.
00:23:34
Mit 20 Jahren hat sie ihren leib-
lichen Vater zum ersten Mal gesehen.
00:23:41
Man hat mir gesagt,
er sei vielleicht in Paris.
00:23:44
Man sagte mir, woher er kommt.
00:23:47
Und meine Mutter hat mir mal
ein paar wenige Sachen geschenkt,
00:23:51
die sie von ihm noch hatte.
00:23:53
Aber ansonsten hat mein Vater
und die Geschichte,
00:23:58
die mit ihm und seiner Herkunft
verbunden ist ...
00:24:02
Davon habe ich nie
etwas mitgekriegt.
00:24:05
* Rhythmische Musik *
00:24:07
In Paris hat sie drei Geschwister.
00:24:10
Ihr Vater kommt ursprünglich
00:24:12
aus der ehemaligen
französischen Kolonie Benin.
00:24:16
Der Kontakt ist lose.
00:24:18
Sie habe die schwarze Familie
auf Distanz gehalten, sagt sie.
00:24:31
Bonjour.
- Bonjour, Albert.
00:24:34
Sei willkommen bei dir zu Hause.
00:24:37
Geht es gut?
- Ja.
00:24:39
Und den Kindern?
- Sehr gut.
00:24:42
Ich freue mich, dich zu sehen.
- Ja, ich mich auch.
00:24:49
Es ist lange, lange her.
00:24:52
Vor 24 Jahren haben wir uns
zum ersten Mal gesehen.
00:24:57
Ich war damals 20.
00:25:00
Du warst 20,
damals am Gare de Lyon.
00:25:04
Gare de Lyon, du erinnerst dich?
00:25:06
Ja.
00:25:07
Wie war das für dich damals?
00:25:09
Als ich dich sah,
war ich glücklich, überglücklich.
00:25:13
Es war ein Wunder.
00:25:17
Du bist meine Tochter,
meine erste Tochter.
00:25:22
Ich habe diesen Sommer gemerkt,
00:25:26
dass ich endlich
auch meine andere Seite,
00:25:29
meine schwarze Seite annehmen
und darüber sprechen muss.
00:25:34
Kannst du das verstehen?
00:25:36
Ja, ich verstehe das.
00:25:39
Als du geboren wurdest,
war ich nicht an deiner Seite.
00:25:43
Ich war weit weg.
00:25:46
Oui.
00:25:49
Ich weiss,
du hast darunter gelitten.
00:25:55
Ich war nicht da für dich,
00:25:59
meine Anwesenheit hat dir gefehlt.
00:26:09
Über Rassismus
will Angélique Beldners Vater
00:26:12
an diesem Tag mit ihr nicht sprechen.
00:26:15
Für Dinge, die ihn belasten würden,
gehe er in die Kirche.
00:26:23
# Réjouis-toi, Marie,
toute aimée de Dieu.
00:26:29
# Chez vous il revient.
00:26:33
# Ave, Ave, Ave Maria.
00:26:43
# Ave, Ave, Ave Maria.
00:26:55
Voilà. Merci.
00:27:05
Am nächsten Tag
ist die Schwester zu Hause.
00:27:08
Mit ihr spricht Angélique Beldner
das Thema Rassismus an.
00:27:12
Hast du Rassismus erlebt?
00:27:14
Natürlich.
00:27:16
Und du hast ihn durch mich erlebt,
damals in der Sekundarschule.
00:27:22
(Albert) Ja, in der Sekundarschule
hast du gelitten.
00:27:26
Ich kann mich nicht mehr
an genaue Worte erinnern.
00:27:31
Aber es war, weil ich schwarz bin.
00:27:37
C'était parce que j'étais noire.
00:27:40
Was hast du gedacht?
00:27:42
Wie war das für dich?
00:27:44
Es war hart.
- Das tut weh.
00:27:47
Es tut weh.
00:27:57
Man fühlt sich allein und findet
keine Worte, um sich zu verteidigen.
00:28:05
Dieses Thema anzusprechen ...
00:28:13
Er geht.
00:28:15
Wir werden ihn fragen,
warum er ausgerechnet jetzt geht.
00:28:19
Hast du mit ihm darüber gesprochen?
00:28:21
Nein, wir haben
noch nie darüber gesprochen.
00:28:24
Hat er Angst
oder will er es nicht glauben?
00:28:27
Doch, er glaubt es.
00:28:29
Er hat ja damals
in der Schule interveniert.
00:28:34
Aber ich glaube,
es ist auch für ihn schwierig.
00:28:37
Es ist einfacher, alles zur Seite
zu schieben und so zu tun,
00:28:41
als ginge alles gut,
00:28:44
als würde Rassismus
nicht existieren.
00:28:47
Wenn man nicht darüber spricht,
ist es, als wäre es nicht passiert.
00:28:56
Ce n'est pas si simple.
- Oui.
00:28:59
Aber warum
hast du nicht darüber gesprochen?
00:29:05
Einmal habe ich es erzählt
und dann ...
00:29:09
Ich weiss nicht,
00:29:11
hat man mir die Möglichkeit gegeben,
wirklich darüber zu reden?
00:29:17
Danke.
00:29:19
Es war vielleicht auch der Wunsch,
mich integrieren zu wollen ...
00:29:27
... und diesen Gefühlen
gar kein Gewicht zu geben.
00:29:31
Dann geht es vorbei.
00:29:34
Warum bist du rausgegangen, Albert?
00:29:36
Ich ging etwas holen,
damit ich es nicht vergesse.
00:29:39
Für deine Heimreise.
00:29:45
Und wie ist es heute,
ist es anders?
00:29:50
Mit dem Rassismus?
- Ja.
00:29:53
Ist es besser oder ...
00:29:56
Es ist immer noch da.
00:29:59
Mehr oder weniger.
00:30:01
Ob mehr oder weniger, es ist da.
00:30:04
Ich war z.B. kürzlich
mit einer Reinigungskraft
00:30:07
auf der Pflegestation.
00:30:09
Ich bin schwarz, sie ist weiss.
00:30:11
Die Angehörigen,
die sich informieren wollten,
00:30:15
haben sich aber nicht an mich,
sondern an die weisse Frau gewandt.
00:30:20
Ich verstehe.
00:30:23
Im Kopf der Menschen
sitzt diese Hierarchie einfach fest:
00:30:27
Der schwarze Mensch
bleibt minderwertig.
00:30:30
Oui.
00:30:32
Damals ...
- Ja.
00:30:34
Als ich mit deiner Mutter
zusammen war,
00:30:37
gab es nicht viele Weisse,
00:30:39
die mit einem Schwarzen
ausgegangen wären.
00:30:42
Deine Mutter hat das gemacht.
00:30:44
Die Tatsache,
dass sie das gemacht hat,
00:30:47
machte sie zu einer Kämpferin
gegen den Rassismus.
00:30:50
Diese Trennung von Schwarzen
und Weissen, das wollte sie nicht.
00:30:57
Ja, ja, ja. Das ist gut.
- Ja, das ist gut.
00:31:00
Das ist gut, aber man muss auch
über den Rassismus sprechen.
00:31:05
Ja.
00:31:06
Du sprichst aber nur über ...
00:31:12
... über die guten Sachen.
00:31:14
Die positiven Sachen? Ja.
00:31:16
Aber es gibt auch
die negativen Sachen.
00:31:19
Ja, die gibt es immer.
00:31:21
Wir müssen darüber sprechen,
das ist wichtig.
00:31:24
Ja, damit es aufhört,
damit es weniger wird.
00:31:27
Ja, da bin ich voll und ganz
mit dir einverstanden.
00:31:30
100 % einverstanden.
00:31:36
* Helle, kristallene Klänge *
00:31:41
(Niemals hätte ich gedacht,
dass diese Reise so intensiv wird.)
00:31:55
Albert, au revoir.
- Au revoir, ma fille.
00:31:58
Merci.
- Merci beaucoup.
00:32:01
À bientôt.
00:32:02
(Für mich ist es erschreckend,
zu sehen,
00:32:05
dass meine schwarze Familie
dieselbe Strategie wählte wie ich.)
00:32:14
(Und wie eigentlich
auch meine weisse Familie.)
00:32:19
(Dieser Sommer zeigte mir:
00:32:21
Über Rassismus zu sprechen,
ist schwierig ...
00:32:25
... aber schweigen ist für mich
definitiv keine Option mehr.)
00:32:32
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Philipp Schlatter - 2020